Auf Deutschlands Unternehmen kommen mehrere folgenschwere EU-Gesetze zu. Viele davon überlappen sich und regeln dasselbe – und verursachen so unnötig Aufwand. Das Maß an Regulierung aus Brüssel erreicht eine ganz neue Qualität.
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Mehr als 40.000 Lieferanten muss das Familienunternehmen prüfen, in Deutschland, in Europa, in Fernost. Die Manager einer anderen Firma klagen, sie erwarteten in den kommenden Monaten zwei Millionen Euro zusätzliche Kosten, weil sie ungeplant Mitarbeiter einstellen und teure Be
Es geht um das deutsche Lieferkettengesetz, verabschiedet im Januar. Unternehmen sollen nun dafür sorgen, dass ihre Geschäftspartner in fernen Teilen der Erde Menschenrechte und Umweltstandards einhalten. Und das ist erst der Anfang. Beamte arbeiten gerade noch an vielen weiteren Vorschriften, vor allem in Brüssel.
Mehrere davon überlappen sich, regeln dasselbe. Sie zwingen so die Betriebe, Daten doppelt und dreifach zu erfassen und an verschiedene Behörden der EU zu melden. Das zeigt eine Untersuchung der Stiftung Familienunternehmen, die WELT vorliegt.
„Familienunternehmen müssen gegenwärtig noch nie dagewesene Bürokratielasten bewältigen“, sagt Rainer Kirchdörfer, der Chef der Stiftung. „Und ein großer Teil davon kommt aus Europa.“ Das sei nicht mehr handhabbar, so Kirchdörfer. Die Geduld der Firmen gehe zu Ende.
Die EU-Kommission unter Ursula von der Leyen beschäftigt sich mit den ganz großen Problemen der Menschheit. Mit der Verhinderung von Ausbeutung, der Gleichstellung der Geschlechter, dem Kampf gegen die Erwärmung der Erde. Viele der geplanten Regeln sind Teil des sogenannten Green Deals, sollen beim Umbau der europäischen Wirtschaft helfen. Weg von Öl, Gas, Kohle, hin zu Wind und Sonne. Bis 2050 will Europa klimaneutral sein, als erster Kontinent der Welt.
Die EU sagt: Dafür müssen Unternehmen ein paar lästige Pflichten in Kauf nehmen. Kirchdörfer dagegen sagt: „Wir bewältigen die ökologische Transformation nicht mit Meldepflichten, sondern mit unternehmerischer Initiative.“
Bürokratiewelle in der Wirtschaftskrise
Aus der Politik gibt es ähnliche Stimmen. „Jeder neue Gesetzesvorschlag von Ursula von der Leyen schafft vor allem neue Berichtspflichten“, sagt die FDP-Europaabgeordnete Svenja Hahn zu WELT. „Diese Bürokratie-Berge drohen die europäische Wirtschaft zu ersticken.“
Von der Leyen solle sich an ihr Versprechen von „One-in-one-out“ erinnern, also an die Idee, für jede neue Vorschrift eine alte abzuschaffen. Denn die Lasten für die Firmen kämen zu einer besonders ungünstigen Zeit. „Wir stecken mitten in einer Wirtschaftskrise und einem Systemwettbewerb mit Autokratien wie China“, sagt Hahn.
Schon die Namen der vielen EU-Gesetze klingen kompliziert. Da ist die Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung. Sie trat vor vier Monaten in Kraft und legt fest, dass Unternehmen mitteilen müssen, wie sich ihr Handeln auf die Umwelt und die Gesellschaft auswirkt – und das ihrer Zulieferer.
Kippt ein Geschäftspartner aus Indien Chemikalien in den Ganges? Wie ist es dort um die „Work-Life-Balance“ – der Begriff steht so im Kleingedruckten der Richtlinie – bestellt? Auf solche und 2000 weitere Fragen müssen Europas Manager künftig Antworten haben.
Da ist eine Verordnung gegen Entwaldung. Unternehmen, die zum Beispiel Holz, Kaffee oder Kakao in Europa verkaufen, sollen sicherstellen, dass für nichts davon in großem Stil Bäume sterben. Da ist die Entgelttransparenz-Richtlinie, nach der Firmen Lohnunterschiede zwischen männlichen und weiblichen Angestellten offenlegen müssen.
Da ist das geplante Verbot Tausender Chemikalien, PFAS genannt, die gesundheitsschädlich sind, aber aus der modernen Welt kaum wegzudenken. Sie stecken etwa in Bratpfannen, Shampoos und Regenjacken.
Ärgerlich aus Sicht vieler deutscher Firmen ist, dass sich die Gesetze oft doppeln. Besonders häufig gebe es Überschneidungen auf dem Gebiet der Nachhaltigkeit, sagt Kirchdörfer, der Chef der Stiftung Familienunternehmen. Von einer „Monsterwelle an Bürokratie“ spricht er. „Damit schießt sich unser Standort weiter ins Abseits.“
Belastungen für Firmen werden in Kauf genommen
So verpflichtet die Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung Unternehmen, Lohnunterschiede zwischen Männern und Frauen offenzulegen – genauso wie die Entgelttransparenz-Richtlinie. Nach einer geplanten EU-Lieferkettenrichtlinie, die noch deutlich über das deutsche Lieferkettengesetz hinausgeht, müssen Firmen künftig belegen, dass in ihren globalen Wertschöpfungsketten keine Dschungel zerstört werden – wie es auch schon die Verordnung gegen Entwaldung verlangt.
Die Kommission schlug die europäische Lieferkettenrichtlinie im Februar 2022 vor, der Entwurf dafür stammt aus der Generaldirektion Justiz und Verbraucher. Die Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung kommt aus der Generaldirektion Finanzstabilität.
Und die Generaldirektion Binnenmarkt plant noch eine Verordnung gegen Zwangsarbeit. Alles Instrumente mit ähnlichen Zielen, aber aus verschiedenen Abteilungen der Kommission. Wie ist das möglich?
Unter Ursula von der Leyen hat sich die Kommission der Rettung des Klimas verschrieben wie nie zuvor, das dürfte ein Grund für die vielen Gesetze im Bereich Nachhaltigkeit sein. In vertraulichen Gesprächen sagen Beamte der Behörde aber auch, es gehe den Generaldirektionen und ihren Kommissaren oft darum, Errungenschaften vorweisen zu können, ein Vermächtnis zu hinterlassen.
So etwas sei schließlich gut für die politische Karriere. Überschneidungen mit anderen Abteilungen – und Belastungen für Firmen – würden dafür in Kauf genommen.