EU gegen den Rest der Welt: Nun auch Sanktionen gegen Türkei und China?© Bereitgestellt von Berliner Zeitung
Die Europäische Union (EU) will Sanktionen gegen Staaten verhängen, die mit Russland Geschäfte machen und dem Land auf diese Weise helfen, die Sanktionen zu umgehen. Engmaschige Sanktionen gegen Drittstaaten sind ein Novum im Arsenal der EU-Maßnahmen. Es sollen nun nicht mehr nur einzelne Personen („Oligarchen“) oder Unternehmen verfolgt werden, sondern Staaten, die, wie das US-Magazin Politico schreibt, „Putins Regime weiterhin Einnahmen und sanktionierte Hightech-Teile aus Europa für seinen brutalen und illegalen Krieg gegen die Ukraine liefern“.
Der Vorschlag dürfte für Protest bei einigen EU-Staaten sorgen. Vor allem Ungarn unterhält unverändert gute Beziehungen zu Russland und fürchtet, dass das neue Sanktionspaket vor allem den Bau des Atomkraftwerks Paks 2 gefährden könne. Sollte die Kommission Sanktionen gegen die Nuklearindustrie vorsehen, „betrachten wir das als Angriff auf unsere Souveränität und werden ein Veto einlegen“, so der ungarische Außenminister Péter Szijjártó am Freitag in Budapest. Er sagte laut ungarischen Medien: „In Brüssel denkt man nicht, wie normale Leute denken. Dort meint man, was zehnmal nicht funktioniert hat, versucht man noch ein elftes Mal – vielleicht geht es ja dieses Mal so richtig in die Hose.“ Szijjártó sagte, die EU belaste ihre Unternehmen mit Sanktionen, während die US-Regierung alles tun würde, um die eigenen Unternehmen zu unterstützen.
Der Grund für die kontroversen Aktivitäten der EU-Kommission liegt darin, dass die ersten zehn Sanktionspakete noch nicht den gewünschten Erfolg gezeitigt haben: nämlich die russischen Militäraktivitäten zu stoppen und die russische Wirtschaft so zu schwächen, dass Moskau von sich aus seine Truppen aus der Ukraine zurückzieht. Einer der Gründe für die überschaubare Wirkung der Sanktionen ist die Tatsache, dass viele Länder sich als Brücke für den zusammengebrochenen Im- und Export betätigen, teilweise mit sagenhaften Gewinnmargen. Zuletzt war immer wieder Indien genannt worden, welches russisches Rohöl einkauft, es raffiniert und dann mit saftigem Aufschlag an die EU-Staaten weiterkauft.
Indien steht zwar in den an Politico und die Financial Times (FT) geleakten Papieren offenbar nicht ganz oben auf der Agenda. Doch mit China und der Türkei könnten die Sanktionen erhebliche Folgen für die europäische Wirtschaft haben: China hat nach Bekanntwerden der EU-Pläne umgehend mit Gegenmaßnahmen gedroht: Peking werde seine Interessen im Falle von EU-Sanktionen gegen sieben chinesische Technologieunternehmen wegen deren Lieferungen an Russland wahren, teilte der Sprecher des chinesischen Außenministeriums, Wang Wenbin, am Montag laut der staatlichen chinesischen Nachrichtenagentur Xinhua mit.
Laut der FT sind unter anderen der chinesische Halbleiterhersteller 3HC, das Mikroelektronik-Unternehmen King Pai Technology sowie die Unternehmen Sinno Electronics und Sigma Technology betroffen. Die vier Unternehmen stehen bereits auf Sanktionslisten der USA. „Wenn sich Medienberichte als wahr herausstellen, werden solche Aktionen der europäischen Seite das gegenseitige Vertrauen und die Zusammenarbeit zwischen der EU und China ernsthaft untergraben“, sagte Wang. Peking ist jedenfalls sichtlich irritiert, wie die Entwicklungen auf dem diplomatischen Parkett zeigen: Ein Besuch von Bundesfinanzminister Christian Lindner wurde von Peking kurzfristig abgesagt. Stattdessen hat sich kurzfristig Außenminister Qin Gang am Dienstag zu einem Besuch in Berlin angesagt. Er will Bundesaußenministerin Annalena Baerbock treffen und erhofft sich von ihr offensichtlich kompetente Auskünfte über die EU-Pläne.
Von den EU-Strafmaßnahmen betroffen sein könnte auch die Türkei, die trotz des Krieges umfangreiche Geschäfte mit Russland und der Ukraine tätigt. Die US-Regierung ist im Moment verärgert über den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan: Dieser weigert sich, die Kontrolle des von Türkei gekauften russischen Raketenabwehrsystems S-400 an die USA oder die Ukraine zu übergeben. Außenminister Mevlüt Çavuşoglu sagte laut der Zeitung Sabah, dass die Türkei dies nicht tun werde, weil dies ein Eingriff in ihre Souveränität sei. Möglicherweise könnten EU-Sanktionen den Druck auf Ankara erhöhen. Allerdings dämpft die EU diese Erwartungen. Politico zitiert einen anonymen „Diplomaten“ mit den Worten: „Wäre Europa wirklich bereit, Sanktionen gegen die Türkei zu verhängen und Vergeltungsmaßnahmen zu riskieren, beispielsweise wenn Präsident Recep Tayyip Erdogan mehr Migranten den Grenzübertritt in die EU erlaubt?“