Die moldauische Maia Sandu und der rumänische Staatschef Klaus Johannis 2019 in Bukarest© Picture Alliance
Als Olaf Scholz Anfang April nach Rumänien reiste, nahm außer dem rumänischen Staatsoberhaupt Klaus Johannis auch die moldauische Präsidentin Maia Sandu an dem Treffen mit dem deutschen Kanzler teil. Die Selbstverständlichkeit, mit der aus der bilateralen eine trilaterale Begegnung wurde, ist Teil einer Entwicklung, die schon vor dem jüngsten russischen Überfall auf die Ukraine begonnen, sich seither aber noch intensiviert hat. Eng wie nie lehnt sich die Republik Moldau an ihren westlichen Nachbarn an. Zwar reden Johannis und Sandu anders als einige ihrer Vorgänger zumindest öffentlich noch nicht von einer Wiedervereinigung. Unübersehbar ist aber die Annäherung zwischen „den beiden rumänischen Staaten“, wie es in Bukarest oft formuliert wird.
Reaktion auf den Ukraine-Krieg: Moldau und Rumänien rücken zusammen© F.A.Z.
Besonders deutlich wurde das Mitte März, als die Abgeordneten von Sandus regierender „Partei der Aktion und Solidarität“ Rumänisch per Gesetz zur Amtssprache der Republik Moldau erklärten. Das war es eigentlich vorher schon – nur hieß es nicht so. Zu Sowjetzeiten hatte Moskau, um die Abgrenzung von Rumänien zu forcieren, das Konstrukt einer „moldauischen Sprache“ geschaffen, die nicht in lateinischen, sondern in kyrillischen Buchstaben geschrieben werden musste.
Vormarsch des Rumänischen in Moldau
Die prorussische Opposition protestiert scharf. Sie argumentiert, die Verfassung von 1994 weise „Moldauisch“ als Staatssprache aus. Ein Gesetz im Verfassungsrang könne nicht mit einfacher Mehrheit geändert werden. Die von Moskau unterstützten Kräfte fordern ein Referendum darüber, wie die Bevölkerungsmehrheit ihre Muttersprache zu nennen hat. Dem hält die Regierung entgegen, als Landessprache sei bereits in der moldauischen Unabhängigkeitserklärung von 1991 Rumänisch genannt worden. Ein Urteil des Verfassungsgerichts von 2013 hatte tatsächlich den Vorrang der Unabhängigkeitserklärung vor der Verfassung festgestellt. Das neue Gesetz verschafft demnach mit zehnjähriger Verspätung einem verfassungsrechtlichen Urteil Geltung. Skeptiker mahnen jedoch, was mit einfacher Mehrheit beschlossen wurde, könne nach der nächsten Wahl ebenso einfach wieder abgeschafft werden, sollten sich die Mehrheitsverhältnisse ändern. Tatsächlich werden die prowestlichen Kräfte in Chișinău wohl mindestens eine weitere Legislaturperiode brauchen, um das Sprachgesetz fest zu verankern, etwa im Schulunterricht.
Unterstützung kommt aus Bukarest, das den Vormarsch des Rumänischen in Moldau seit Jahren fördert. Schulen wie das rumänischsprachige Mihai-Eminescu-Gymnasium in der traditionell russophilen Region Gagausien werden von Bukarest finanziell unterstützt und erfreuen sich wachsender Beliebtheit. Einige rumänische Sprachschulen können den Andrang kaum noch bewältigen. Etwa eine Million Menschen in Moldau besitzen die rumänische Staatsbürgerschaft und sind damit seit 2007 EU-Bürger. Die Abschaffung der Visumpflicht für Moldauer 2014 hat die Attraktivität des Rumänischen nochmals erhöht. Vorangetrieben wird die Annäherung zudem von den beiden Staatsoberhäuptern. Zwischen Johannis und Sandu passt öffentlich kein Blatt. Rumänische Fachleute werden als Berater nach Chișinău entsandt, teilweise mit finanzieller Unterstützung aus Deutschland.
Russland ist auch nicht mehr Moldaus wichtigster Wirtschaftspartner. „Rumänische Investitionen in der Republik Moldau sind wichtig, ebenso wie es die Öffnung des rumänischen Marktes für unsere Produzenten ist“, hob Sandu im vergangenen November nach einem Treffen mit Johannis in Bukarest hervor. „Die meisten unserer Exporte gehen nach Rumänien“, sagte die Präsidentin, die ihr Land etwa für rumänische Energieunternehmen öffnen will. Bessere Straßen- und Schienenverbindungen mit der rumänischen Region Moldau und ihrer Hauptstadt Iași sowie zusätzliche oder modernisierte Brücken über den Grenzfluss Pruth sollen die beiden Länder noch enger aneinander heranrücken lassen. Die Republik Moldau genieße in Rumänien „überwältigende, nachhaltige und parteiübergreifende Unterstützung“, sagte Johannis nach einem Treffen mit Sandu und wurde grundsätzlich: „Rumänien und die Republik Moldau sind durch eine extrem starke Verbindung geeint – sie teilen die gleiche Sprache, Kultur und Geschichte.“
Gas aus Rumänien, anstatt von Gazprom
Als Sandu wenige Tage nach der Verabschiedung des Sprachengesetzes im März wieder nach Bukarest kam, griff sie eine alte Äußerung von Johannis’ Vorgänger Traian Băsescu auf. Der hatte 2013 kurz vor der Unterzeichnung eines EU-Partnerschaftsabkommens mit der Republik Moldau gesagt, Rumäniens nächstes Großprojekt müsse eine Vereinigung der beiden Nachbarstaaten sein. „Blut ist dicker als Wasser“, sagte der damalige Präsident und prophezeite, „ein Volk, das die Gelegenheit hat, sich zu vereinigen, wird niemals darauf verzichten“. Ein Jahrzehnt später sagte Sandu in Bukarest: „Wir wissen, dass Blut dicker ist als Wasser, und unsere Beziehung ist der beste Beweis für diese Wahrheit.“ Rumäniens Hilfe sei „aufrichtig und uneigennützig“, lobte sie und hob die Energieversorgung hervor. Bukarest habe dabei geholfen, dass ihr Land nicht mehr auf Gazprom angewiesen sei: „Dies ist uns zum ersten Mal in der Geschichte des Landes gelungen, und wir werden weiter in die Energiediversifizierung investieren.“ Es werde nicht gelingen, Moldau mit einem Stopp von Gaslieferungen zu erpressen: „Danke, Rumänien, für Beständigkeit, Altruismus und Führung. Danke, dass Sie uns helfen, stärker zu werden.“
Die Rhetorik erinnert an den Beginn der Neunzigerjahre, als es eine starke Bewegung für eine Wiedervereinigung gab. Vor allem in Bukarest hieß es damals, es sei eine Frage der historischen Gerechtigkeit, den Hitler-Stalin-Pakt zu überwinden, in dessen Folge die Sowjetunion 1940 das heutige Territorium der Republik Moldau, damals Bessarabien genannt, von Rumänien abgetrennt und annektiert hatte. Dabei wurden Teile Bessarabiens, etwa die Nordbukowina, der Ukraine zugeschlagen, zu der sie seither gehören. Zwischen 1812 und 1918 war Bessarabien russisches Gouvernement und als solches einer intensiven Russifizierung ausgesetzt. Die Mehrheit sprach aber weiter Rumänisch.
Rumäniens erster postkommunistischer Präsident Ion Iliescu gab sich schon 1990 sicher, dass sich ein Weg finden werde, „um die Dinge wieder ganz und gar in ihren normalen Zustand zu bringen“ – was aus rumänischer Sicht den Anschluss an Rumänien bedeutet. Die moldauische Unabhängigkeitserklärung begrüßte Iliescu 1991 als „Feiertag für das Rumänentum“, während der rumänische Außenminister eine Vereinigung beider Länder zum „normalen Gang der Geschichte“ erklärte. Iliescu sagte damals, auch mit der ukrainischen Regierung müsse über Gebietsansprüche verhandelt werden: „Die Ukraine ist eine objektive Tatsache, und wir erkennen sie an, aber da gibt es Gebiete, die unrechtmäßig von der Sowjetunion besetzt und der Ukraine gegeben wurden.“
Immer wieder Anstöße zu einer Vereinigung
Allerdings war das damals wirtschaftlich marode Rumänien keine verlockende Alternative für die meisten Moldauer. In der neu entstandenen Republik, die wirtschaftlich und infrastrukturell noch ganz auf Moskau ausgerichtet war, gab es zu Beginn der Neunzigerjahre kaum Befürworter einer Vereinigung. Als sich das rumänische Abgeordnetenhaus im Februar 1993 für einen Anschluss der Republik Moldau aussprach und Rumäniens Außenminister Teodor Meleşcanu Verhandlungen über einen „Vertrag über Brüderlichkeit und Integration“ ankündigte, stieß das in Chișinău auf wenig Gegenliebe. Die großrumänische Rhetorik war im Gegenteil ein wichtiger Grund dafür, dass das mehrheitlich russischsprachige Transnistrien, das nie zu Rumänien gehört hatte, sich 1992 gewaltsam vom Rest des Landes lossagte. In Transnistrien sieht sich eine Mehrheit dem russischen Kulturraum verbunden. Zu einem rumänischen Staat will man keinesfalls gehören.
Doch aus Rumänien kommen immer wieder Anstöße zu einer Vereinigung. Im Sommer 2003 sagte Iliescu in einem Interview mit der Moskauer „Nesawissimaja Gaseta“ anlässlich eines Staatsbesuchs in Russland, eine Vereinigung Moldaus mit Rumänien wäre „natürlich“. Auch auf die slawische Minderheit des Landes werde die Idee Anziehungskraft ausüben. Die Aussicht auf eine Verbesserung der Lebensbedingungen werde ihre Wirkung nicht verfehlen, wenn Rumänien erst Mitglied von NATO und EU sei, mutmaßte Iliescu. 2014 sagte der damalige rumänische Regierungschef Victor Ponta, Rumänien sei stark genug, um für Moldau das zu sein, was Westdeutschland für Ostdeutschland war.
Sandu drückt sich vorsichtiger aus. Als sie Ende 2021 in einem Fernsehinterview nach einer Vereinigung mit Rumänien gefragt wurde, antwortete die Präsidentin, ein solches Großprojekt sei nur bei ausreichender Unterstützung der gesellschaftlichen Mehrheit realistisch. Eine Mehrheit von 50 Prozent plus einer Stimme in einem Referendum reiche nicht aus, stellte sie auf Nachfrage fest. Doch Chișinău und Bukarest kommen sich auch ohne Referendum immer näher – Russland sei Dank.