Während die EU den Stabilitätspakt aufweichen will, pocht Deutschland auf harte Regeln. Ökonomen kommen in einer unveröffentlichten Untersuchung nun zu dem Schluss: Die Position der Bundesregierung könnte den Schulden-Abbau gewährleisten. Die Experten legen konkrete Zahlen vor.
Flaggen von EU-Ländern vor dem Europäischen Parlament in Straßburg pa/Photoshot/rh© Bereitgestellt von WELT
Wenigstens in einem Punkt sind sich alle einig: Die alten Regeln funktionieren nicht. Viele Staaten ignorierten sie in der Vergangenheit einfach. Und die EU setzte sie kein einziges Mal durch. Seit der Einführung des Stabilitätspakts vor mehr als 25 Jahren leitete die Kommission 37 Verfahren gegen Länder ein, die zu viele Schulden machten. 37 Mal endete die Sache ohne Konsequenzen.
Doch was muss sich ändern? Da gehen die Meinungen auseinander. Die Kommission will den Stabilitätspakt aufweichen, Deutschland ist dagegen, pocht auf harte Vorschriften. Eine bisher unveröffentlichte Untersuchung des Instituts der deutschen Wirtschaft, die WELT vorliegt, kommt nun zu dem Schluss: Die Position der Bundesregierung könnte Europa helfen.
Gentiloni möchte mit jedem Land – so nennt er es – „individuelle Pfade“ zum Abbau der Schulden verhandeln. Also von Fall zu Fall entscheiden. Bei Deutschland anders als bei Italien, Frankreich oder Griechenland, das in der EU die verheerendste Schuldenquote aufweist: 178 Prozent. Ein solches Vorgehen würde der Kommission viel politischen Spielraum verschaffen. Von europaweit einheitlichen Regeln, wie es sie bisher gibt, hält Gentiloni wenig.
Deutschlands Finanzminister Christian Lindner hingegen fordert genau das. Er will die Macht der Kommission einschränken und verbindliche Regeln für alle. Sein Plan sieht vor, dass hoch verschuldete Länder ihre Quote jährlich um einen Prozentpunkt senken.
Zudem sollen sie dafür sorgen, dass das Ausgabenwachstum nicht größer ist als das Wirtschaftswachstum unter normalen Bedingungen. Als Differenz der beiden Wachstumsraten schlägt die Bundesregierung einen Prozentpunkt vor.
Alte Gräben aus der Eurokrise reißen wieder auf
Die Ökonomen des Instituts der deutschen Wirtschaft unterstützen das. „Die Idee der Bundesregierung mit der Ausgabenbegrenzung ist sinnvoll“, sagt Samina Sultan, eine Autorin der Studie. „Wenn hoch verschuldete Länder das Wachstum ihrer Ausgaben auf die vorgeschlagene Weise begrenzen müssen, dürfte das in der Regel einen stetigen Abbau der Schulden gewährleisten.“ EU-Kommissar Gentiloni und viele andere Politiker aus Südeuropa kritisieren den Vorschlag aus Berlin als zu streng. Sultan findet das nicht. „Ich denke“, sagt sie, „der Plan ist angemessen.“
All das ist ein heikles Thema in Europa. Die Debatte reißt alte Gräben aus der Zeit der Eurokrise auf: zwischen reichen und armen Staaten, zwischen Nord und Süd. Es gibt die Sorge, zu viel Austerität, also zu hartes Sparen, könnte negative Folgen für das Wirtschaftswachstum haben.
„Eine Begrenzung der Staatsausgaben“, sagt Jürgen Matthes, Co-Autor der Studie, „dürfte weniger umstritten sein als eine Vorschrift zum Abbau der Schuldenquote.“ Das Wort „Schulden“ sei seit der Eurokrise politisch aufgeladen, Regeln dazu würden emotional diskutiert.
Sultan und Matthes haben berechnet, wie sich die Haushaltsdefizite von Italien, Frankreich, Spanien und Deutschland in den kommenden fünf Jahren entwickeln könnten. Folgt die EU dem deutschen Vorschlag, würde das Minus in den vier Ländern spürbar sinken: in Italien von fünf auf 2,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, in Frankreich von fünf und Spanien von 4,6 auf 2,3 Prozent, in Deutschland von 2,3 Prozent auf null.
null Infografik WELT© Bereitgestellt von WELT
Spanien und Italien, heißt es in der Studie, bewegten sich bereits in diese Richtung, daher erscheine die Vorgabe nicht zu ambitioniert. Lediglich Frankreich müsse sich mehr anstrengen als bisher.
In einem zweiten und dritten Szenario gehen die Ökonomen davon aus, dass das Wachstum der Ausgaben weniger stark begrenzt wird, als Deutschland es fordert. Die Folge: In Italien, Frankreich und Spanien läge das Defizit selbst nach fünf Jahren noch höher als drei Prozent. Dieses Konsolidierungstempo, so die Studie, sei zu gering.