Deutschland droht der Exodus einer Kernindustrie. Während Automobilhersteller in der EU mit hohen Energie-Kosten und einem Wust an Regularien zu kämpfen haben, empfangen die USA sie mit offenen Armen.
VW-Produktion im US-Werk Chattanooga VW Werk Chattanooga Produktion / Bild: press-inform / VW© VW Werk Chattanooga Produktion / Bild: press-inform / VW
Für VW hatte der weltberühmte Slogan „Made in Germany“ stets eine besondere Bedeutung. Mit soliden und dennoch erschwinglichen Autos wie dem VW Golf entwickelte sich der niedersächsische Autobauer zu einem Weltkonzern. Die Qualitätsbesessenheit des ehemaligen Führungsduos Martin Winterkorn mit dem Patriarchen Ferdinand Piëch verstärkte den Mythos des teutonischen Autobaus nur noch. Von der Arbeit der Menschen in Wolfsburg, Stuttgart und München profitierte das ganze Land. Doch die von vielen Mahnern befürchtete Produktionsverlagerung ins Ausland nimmt nun konkrete Züge an.
VW und BMW: USA oder China statt Made in Germany
„Wir werden keine neuen Elektrofabriken in Europa bauen, sondern die bestehenden transformieren“, sickerte eine Aussage von VW-Finanzvorstand Arno Antlitz aus dem firmeneigenen Intranet durch, bei der es um das Prestigeprojekt „Trinity“ ging. Neu gebaut wird woanders, nämlich im Süden der USA.
Europa und Deutschland verlieren, China un die USA gewinnen: Prognose über die Produktionsverlagerung in der Autoindustrie bis 2029 Berylls© Berylls
Faszination VW Konzernmarke Scout / Bild: Volkswagen© VW Konzernmarke Scout / Bild: Volkswagen
Statt „Made in Germany“ heißt es dann „Made in USA“, „Made in Mexiko“ oder „Made in China“. BMW##chartIcon investiert ebenfalls in seine Werke in Mexiko und Ungarn - immerhin ein EU-Land - und folgt damit dem VW-Beispiel. Wenn die Lohn- und Energiekosten die Gewinnmarge auffressen, wird es düster in der markanten Vierzylinder-Konzernzentrale am Petuelring.
USA holt Batteriefabriken ins Land
Jeder Job, der im Ausland geschaffen wird, fehlt in Deutschland. Wenn ein Unternehmen wie Volkswagen, bei dem das Land Niedersachsen und die Arbeitnehmerschaft eine wichtige Rolle spielen, wichtige Investitionen außerhalb des Heimatmarktes plant, hat das eine verheerende Signalwirkung.
VW, Mercedes und Co. wandern zunehmend nach China ab. Die Deutsche Wirtschaft schaut hingegen in die Röhre. IMAGO/VCG© IMAGO/VCG
Während die USA mit dem „Inflation Reduction Act“ unternehmensfreundliche Bedingungen bis hin zu Subventionen schaffen und VW & Co. mit offenen Armen empfangen, hat die Klima-Agenda der EU zu einem Berg neuer Vorschriften geführt, die Unternehmen erhebliche Ressourcen kosten. Dazu zählen komplexe Regelwerke wie das Lieferkettengesetz oder umweltrechtliche Genehmigungsverfahren.
Tesla stampft deutsche Erweiterungspläne ein
Nicht nur Tesla##chartIcon-Chef Elon Musk hatte sich bei der Planung seines Werks in Grünheide mehrfach über komplizierte und langwierige Genehmigungsprozesse beklagt. Der eigentlich geplante Ausbau des Tesla-Batteriewerks fällt denn auch kleiner aus als erhofft, Musk gab lieber den USA den Zuschlag . Auch viele deutsche Wirtschaftsbosse beklagen ein zunehmend Industrie-feindliches Klima in der EU. So sagte etwa Klaus Rosenfeld, Chef des Zuliefer-Giganten Schaeffler, kürzlich in der „Welt:“ „Wir haben die höchsten Energiepreise, langsame Planungsverfahren, und es fehlt eine durchgängige Rohstoffstrategie.“ Zwar seien gut ausgebildete Arbeitskräfte und ein starker Mittelstand ein Vorteil, den es nach wie vor in Deutschland gebe. Doch kaum mehr optimale Randbedingungen: „Es geht um unsere Wettbewerbsfähigkeit. Dabei sollten wir uns von dem Versuch verabschieden, alles von oben zu steuern“, so Rosenfeld.
Die Verkörperung dieses Steuerungsgedankens ist EU-Kommissions-Vizepräsident und Klima-Kommissar Frans Timmermans. Er beharrt unter anderem auf dem Verbrenner-Verbot 2035 - etwas, das es weder in den USA noch in China gibt. Nach Informationen von FOCUS online hat Timmermans in Hintergrundgesprächen mit Managern großer deutscher Autohersteller bekräftigt, dass er den Verbrenner so früh wie möglich beerdigen will - idealerweise schon 2026 durch entsprechende Abgasvorschriften, die die Zulassung von neuen Benzinern quasi unmöglich machen. Der Klima-Agenda der EU sei alles unterzuordnen, letztlich auch der Verlust von Arbeitsplätzen, habe Timmermans in den Gesprächen deutlich gemacht. Spacejet wird zerlegt - Hier wird der ganz große Flugzeug-Traum einer stolzen Nation verschrottet
EU im Nachteil: Bürokratie und horrende Energiekosten
Doch selbst für die vermeintlich überlegene Elektroauto-Technologie schafft die EU nicht unbedingt das Produktions-Umfeld, das die Industrie zu neuen Investitionen verleitet. Ein zentraler Punkt sind dabei die im internationalen Vergleich viel zu hohen Energiekosten, die besonders in Deutschland wegen der Energiewende zum Tragen kommen. Energie-intensive Produktionsschritte, etwa Lackierereien oder die Akku-Produktion, benötigen eine Menge konstant gelieferten Strom, was dem deutschen System mit der stark schwankenden Einspeisung von Solar- und Windstrom nicht gerade entgegenkommt. So mussten Industrieunternehmen im vergangenen Winter Stromabschaltungen fürchten . Durch die milde Witterung gab es den Worst Case nicht, doch die Energiekrise der EU dürfte im nächsten Winter kaum vorbei sein - und damit bleiben die Unsicherheiten für die Industrie. Neben der Versorgungssicherheit sind die Kosten pro Kilowattstunde das Problem, die in Ländern wie den USA oder China mit seinem Anteil von rund 60 Prozent fossilen Energien am Strommix erheblich niedriger sind.
Industrieproduktion und der nötige CO2-Emission-Einsatz aus einer Verfahrenstechnik-Studie der HAW Hamburg. China steht immer noch schlecht da, vor allem wegen des massiven Einsatzes fossiler Rohstoffe HAW Hamburg© HAW Hamburg
China produziert viel CO2-intensiver
Die für die EU berechneten Emissionseinsparungen werden so einfach an anderer Stelle wieder „ausgegeben“. Die Industrieproduktion in China ist erheblich CO2-intensiver als die angestrebte CO2-arme Produktion in der EU. Verfahrenstechnik-Experte Professor Thomas Willner von der HAW Hamburg geht davon aus, dass die Produktion in China um den Faktor 4 Emissions-intensiver ist. Das gilt dann natürlich auch für alle Produkte und Zuliefer-Teile bis hin zu kompletten E-Autos, die aus China exportiert werden.
Blick nach vorn „deutlich pessimistischer als 2021“
Eine Analyse der Unternehmensberatung Berylls bestätigt die Aussichten. „Die Multikrise sorgt für einen Blick in die Zukunft, der deutlich pessimistischer ausfällt als noch im Jahr 2021, denn die Autoindustrie verlagert ihre Produktion weg aus Europa“, stellt Berylls-Experte Dr. Alexander Timmer fest. Demnach werden von heute bis zum Jahr 2029 in Deutschland rund 5,5 Millionen weniger Autos gebaut (minus 13,8 Prozent). Im gesamten EU-Raum werde das Minus sogar 18 Prozent betragen. Der Rückgang in Europa werde von Nordamerika und China kompensiert.
Die Unternehmensberatung Berylls prognostiziert bis 2029 einen starken Produktionsrückgang in der EU Berylls© Berylls
„In Deutschland steht die Automobilindustrie für über ein Fünftel des produzierenden Gewerbes, ihr Anteil an der BIP liegt bei knapp unter fünf Prozent. Die Produktionsverlagerungen bringen zwangsläufig wesentliche negative Effekte für die Entwicklung des Wirtschaftsstandortes Deutschland mit sich,“ so Stefan Schneeberger, Project Manager bei Berylls.
Prognose: Fünf Millionen Autos weniger bis 2029
Bis 2029 brechen laut der Prognose rund 100.000 Arbeitsplätze weg und das Bruttoinlandsprodukt sinkt um 0,6 Prozent. Doch das ist erst der Anfang. Denn jetzt werden die Weichen für die Mobilität der Zukunft gestellt und wenn eine Fabrik erst einmal in den USA oder China errichtet ist, wird die nicht abgerissen, nur weil sich die Investitionsbedingungen in Deutschland vielleicht künftig verbessern. Salopp gesagt: Einmal weg ist weg.
Dabei geht es nicht nur um die „großen Fische“ der Automobilindustrie, sondern in deren Fahrwasser auch um die Zulieferer. Laut einem geheimen Dossier der EU-Kommission plant jedes vierte deutsche Mittelstands-Unternehmen, Produktion oder Arbeitsplätze ins Ausland zu verlagern.
Nach Ansicht der Experten werden viele Zulieferer den Exodus allerdings gar nicht mitmachen können, sondern die Hersteller in den USA oder China einfach neue Zulieferer vor Ort suchen. „Die wenigsten Lieferanten verfügen derzeit über genügend Cash für die Finanzierung solcher Investments. Ferner müssen diese vorfinanziert werden. Beim Blick auf die mageren Finanzkennzahlen der Zulieferer, im Vergleich zu den eigentlichen Autoherstellern, ist die finanzielle Hürde, die es zu nehmen gilt, wenn im Ausland ein neues Werk zu errichten ist, für sie kaum zu meistern“, glaubt Berylls-Analyst Alexander Timmer. Dazu kommt, dass Subventionen oder überhaupt erst die Genehmigung neuer Fabriken zum Beispiel in China daran gebunden sind, dass lokale Zulieferer engagiert werden.
Auch Mittelstand könnte EU den Rücken kehren
Die Präsidentin des Verbandes der deutschen Automobilindustrie (VDA) Hildegard Müller schlägt einmal mehr Alarm und nimmt die Politik in die Pflicht. „Berlin und Brüssel müssen jetzt schnellstmöglich die Wettbewerbsfähigkeit Europas sicherstellen“, sagt Müller und legt im selben Atemzug nach: „Die Auffassung, Zukunft vorausschauen zu können und ihr nicht offen, sondern festgelegt – in einem engen Korsett aus Regeln und Verordnungen – zu begegnen, ist falsch, innovationshemmend und somit für unseren Wohlstand gefährlich.“
„Völlig unrealistische Ziele“
Auch das Rohstoffabkommen, das die EU kürzlich mit den USA geschlossen haben und das den Exodus eigentlich verhindern soll, hält der VDA für nicht ausreichend. „Die Forderung nach einer europäischen Agentur für strategische Rohstoffprojekte, die direkt in entsprechende Projekte investieren und das Angebot so stärken würde, bleibt von der Kommission in ihrem Vorschlag genauso ungeachtet wie die Einrichtung eines Rohstofffonds zur Finanzierung der identifizierten strategischen Rohstoffprojekte. Damit werden zwei zentrale Forderung von Experten und Industrie ignoriert – und eine große Chance vertan. Stattdessen werden für 2030 vollkommen unrealistische Ziele der Selbstversorgung, Recycling und Importquote definiert“, so der Verband.