Windkraftanlagen stehen bei winterlichem Wetter nahe des Ortsteils Oldenbrok vor dem Abendhimmel.© dpa
Wie viel Geld braucht die Europäische Union, um im Wettbewerb mit China und den USA mithalten zu können? Wie kann sie verhindern, dass die Investitionen der Zukunft nicht in Europa, sondern Übersee erfolgen? Seit die US-Regierung ihr 369-Milliarden-Dollar-Paket zur Förderung grüner Technologien, den „Inflation Reduction Act“, vorgelegt hat, ringt die EU um eine Antwort. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat sich bisher bedeckt gehalten, welche Summen ihr dabei vorschweben. Nun aber liegt der F.A.Z. ein bisher interner Entwurf für den „Green Deal Industrial Plan“ („Grüner Deal Industrie Plan“) vor, den von der Leyen am Mittwoch präsentieren will.
Darin wird es erstmals konkret: „Mehr als 170 Milliarden Euro“ an Investitionen seien insgesamt bis 2030 nötig, „für die Herstellung von Netto-Null-Technologien wie Sonnen- und Windkraft, Batterien, Wärmepumpen und Wasserstoff allein“ zu fördern, heißt es darin – zusätzlich zu den ohnehin geplanten Investitionen in den Green Deal und den 300 Milliarden Euro, die im Repower-EU-Programm vorgesehen sind, um grüne Technologien weiter auszubauen und die EU damit von Russland zu entkoppeln. Die 170 Milliarden Euro stehen in eckigen Klammern. Die Zahl kann sich also noch ändern.
EU-Finanzierung soll aufgestockt werden
Wie die Kommission das genau finanzieren will, sprich, ob sie dafür neue EU-Schulden aufnehmen will, bleibt in dem Papier offen. Es heißt nur, der EU-Haushalt könne einen wichtigen Beitrag leisten. Der für Wirtschaft zuständige EU-Kommission Paolo Gentiloni hatte hingegen im Gespräch mit der F.A.Z. vor seinem Berlin-Besuch am Montag keinen Zweifel daran gelassen, dass er neue EU-Schulden für unumgehbar hält. Auch EU-Ratspräsident Charles Michel dringt darauf. Als Unterstützer gelten zudem Frankreich, Italien, Spanien, die Slowakei und Tschechien. Die Bundesregierung lehnt das hingegen mit Verweis auf die vielen Milliarden nicht abgerufener Mittel aus dem Corona-Fonds ab.
„Green Deal Industrial Plan” kommende Woche diskutiert
Die Staats- und Regierungschefs sollen den „Green Deal Industrial Plan” auf ihrem nächsten Gipfel Ende der kommende Woche in Brüssel diskutieren. Die Kommission wollen dann bis zum März-Gipfel auf einer grundlegenden finanziellen Bedarfsanalyse konkrete Vorschläge vorlegen, heißt es am Ende des 17 Seiten langen Papiers.
Wie aus dem Papier schon jetzt hervorgeht will die EU-Kommission das Repower-EU-Programm in den Mittelpunkt der EU-Finanzierung grüner Technologien stellen. Sie will aber auch Geld aus dem durch Einnahmen aus dem EU-Emissionshandel finanzierten Innovationsfonds nutzen sowie den von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker gegründeten Invest-EU-Fonds anzapfen. Der stößt mit wenig öffentlichem Geld private Investitionen an, indem er das Hauptrisiko von Projekte abdeckt. Mittelfristig soll der von Kommissionspräsidentin von der Leyen schon beim Weltwirtschaftsforum in Davos angekündigte Europäische Souveränitätsfonds „neue Technologien von zentraler Bedeutung, wie Mikroelektronik über Quantencomputer und die künstliche Intelligenz bis hin zu Biotechnologie, Bioproduktion und Clean-Tech“ fördern.
Förderung grenzüberschreitender Projekte vereinfachen
Als ersten Schritt will die Kommission den Mitgliedsstaaten ermöglichen, die Industrie stärker als bisher nach den EU-Beihilferegeln zu subventionieren. Die Regeln sollen dafür vorübergehend aufgeweicht werden. Bis wann genau, ist in dem Entwurf noch offen. In diesen Zusammenhang will sie auch die Förderung grenzüberschreitender „Wichtiger Projekte gemeinsamen europäischen Interesses“ (IPCEI), wie es sie etwa für Batterien, Mikroelektronik oder Wasserstoff gibt, vereinfachen und beschleunigen.
Die Europaabgeordnete der Grünen, Anna Cavazzini begrüßte den „Green Deal Industrial Plan“. „Klare Regeln zur Dekarbonisierung und ein schneller Zugang zu Finanzmitteln sind entscheidend, um die Produktion grüner Technologien in Europa zu fördern“, sagte sie. Wenn an den Regeln für staatliche Beihilfen geschraubt werde, dürfe dabei jedoch der Binnenmarkt nicht gefährdet werden, sagte sie weiter. „Deshalb ist es wichtig, die Hilfen zielgerichtet und temporär für die grüne Transformation einzusetzen und zusätzlich einen europäischen Souveränitätsfonds auf den Weg zu bringen, um weniger finanzstarke Mitgliedsstaaten nicht ins Abseits zu drängen.“