Beim ersten Gipfeltreffen der EU mit dem Staatenbund Asean will Europa an einen wichtigen Wachstumsmarkt heranrücken. Doch die Freihandelsgespräche stocken.
Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen soll mit Indonesiens Präsident Joko Widodo über einen möglichen Abschluss im kommenden Jahr gesprochen haben. Foto: APdata-portal-copyright=© Bereitgestellt von Handelsblatt
Beim Versuch, von China unabhängiger zu werden, sucht die Europäische Union Nähe zu den Nachbarn der Volksrepublik – und setzt dabei auf eine besondere Geste: Für diesen Mittwoch haben die Staats- und Regierungschefs der EU ihre Amtskollegen der südostasiatischen Asean-Staaten zu einem gemeinsamen Gipfel nach Brüssel eingeladen. Es ist das erste Treffen dieser Art in den seit 45 Jahren bestehenden Beziehungen zwischen den beiden Staatengruppen.
Das Potenzial einer engeren Zusammenarbeit ist groß: Den Asean-Ländern, zu denen wichtige Schwellenländer wie Indonesien, Thailand und Vietnam gehören, gelingt es zunehmend, ihre Industrieparks in den globalen Lieferketten als Alternative zu den Fabriken in China zu etablieren.
Gleichzeitig lockt in der Region ein Wachstumsmarkt mit fast 700 Millionen Einwohnern. Dessen Wirtschaftsleistung legt in diesem Jahr Prognosen zufolge um mehr als fünf Prozent zu – Südostasien gehört damit zu den derzeit wachstumsstärksten Regionen der Welt.
Dennoch stocken die Versuche der beiden Wirtschaftsblöcke, enger aneinanderzurücken. Der EU ist es bisher erst gelungen, mit zwei der insgesamt zehn Asean-Staaten ein Freihandelsabkommen abzuschließen – Singapur und Vietnam.
Abkommen mit Indonesien möglicherweise im nächsten Jahr
Wirtschaftsvertreter drängen nun darauf, den Gipfel zu nutzen, um den Verhandlungen mit den übrigen Partnern neuen Schwung zu geben. „Europa hat großen Nachholbedarf“, sagt Chris Humphrey, Leiter der Organisation EU-Asean Business Council, die sich für die Interessen europäischer Unternehmen in der Region einsetzt.
Nötig seien eine schnelle Wiederaufnahme der zuvor auf Eis gelegten Handelsgespräche mit Thailand, Malaysia und den Philippinen sowie ein rascher Abschluss der laufenden Verhandlungen mit Indonesien, forderte Humphrey.
Seitens der EU hieß es am Dienstag, dass die Verhandlungen mit Thailand, Malaysia und den Philippinen gestartet würden, „wenn die Voraussetzungen dafür gegeben sind“. Von den Ländern wünscht man sich Zusicherungen, dass diese wie die EU an einem umfassenden Handelsabkommen interessiert sind.
Mit Blick auf die bereits mehr als sechs Jahre andauernden Verhandlungen mit Indonesien teilten EU-Vertreter mit, dass Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen mit Indonesiens Präsident Joko Widodo über einen möglichen Abschluss im kommenden Jahr gesprochen habe. „Wir sind aber noch nicht am Ziel“, hieß es in Brüssel.
Bislang verlaufen die Geschäfte der Europäer mit dem rund 275 Millionen Einwohner großen Inselstaat eher enttäuschend: Das bevölkerungsreichste Land der Region liegt unter den größten Volkswirtschaften der Welt auf Rang 17, steht in der Liste der wichtigsten Handelspartner der EU aber nur auf Platz 31. Vietnam, dessen Wirtschaftsleistung deutlich geringer ist, tauscht ein doppelt so großes Warenvolumen mit der EU aus.
Umstritten sind zwischen der EU und der Regierung in Jakarta unter anderem der Marktzugang für indonesisches Palmöl in Europa, das mit der Abholzung von Regenwäldern in Verbindung gebracht wird, und indonesische Exportbeschränkungen für Rohstoffe.
Gegen ein Ausfuhrverbot von Nickelerz in Indonesien legte die EU Beschwerde bei der Welthandelsorganisation ein – und bekam in einer Entscheidung Ende November recht. Am Montag legte die Regierung in Jakarta Berufung ein.
Verbot von außerehelichem Sex sorgt für Diskussionen
Belastet werden die Gespräche mit Indonesien, das im kommenden Jahr der Asean-Gruppe vorsitzt, auch durch ein umstrittenes neues Strafrecht, das eine Wertepartnerschaft mit dem mehrheitlich muslimischen Land in Zweifel zieht: Das vom Parlament in Jakarta beschlossene Gesetz stellt außerehelichen Sex unter Strafe – was besonders Homosexuelle trifft, da diese in dem Land nicht heiraten dürfen. Außerdem werden Blasphemie-Verbote ausgeweitet – was laut Menschenrechtsgruppen Islamkritik erschweren wird.
Die EU-Staats- und -Regierungschefs wollen die Strafrechtsverschärfung nach Angaben aus Brüssel in den Gesprächen mit Widodo zum Thema machen. Auch aus Sicht möglicher Investitionen in Indonesien gebe das Strafrecht Grund zur Sorge, hieß es. Ausländer würden von dem Gesetz möglicherweise abgeschreckt.
Die Entwicklungen in Indonesien stehen beispielhaft für das Dilemma, vor dem die EU in der Region steht: Einerseits sieht Europa Südostasien als strategischen Partner, andererseits steht die Politik der dortigen Länder oftmals in deutlichem Widerspruch zu den Wertvorstellungen der EU – mit autoritären Regierungen in Ländern wie Kambodscha und Vietnam, dem Diktatorensohn Ferdinand Marcos jr. an der Spitze der Philippinen und einer Militärjunta in Myanmar. Deren Chef wurde allerdings nicht nach Brüssel eingeladen.
Die Abwesenheit der Junta, die enge Beziehungen zu China und Russland pflegt, dürfte eine gemeinsame Abschlusserklärung des EU-Asean-Gipfels erleichtern. Um die Formulierungen mit Blick auf den Ukrainekrieg und die Konflikte im Südchinesischen Meer wurde lange gerungen – gerade mit Blick auf Russland sieht sich der Großteil der Asean-Länder als neutral.
EU-Vertreter gingen zuletzt dennoch davon aus, dass eine deutliche Stellungnahme der beiden Staatengruppen möglich sein werde. Die wirtschaftlichen Folgen des Kriegs in Form hoher Energie- und Nahrungsmittelpreise seien schließlich auch in Südostasien zu spüren.