Der politische Betrieb in der EU-Hauptstadt Brüssel steht unter Schock: Nachdem am Wochenende eine Vizepräsident des EU-Parlaments wegen mutmaßlicher Korruption und Geldwäsche von der belgischen Justiz festgenommen wurde, ist die Empörung groß.
EU-Insitutionen in Brüssel© KENZO TRIBOUILLARD/AFP or licensors
Taschen voller Bargeld und Handys beschlagnahmt
Vizepräsidentin Eva Kaili soll Geld aus dem Golfstaat Katar kassiert haben, damit sie für das WM-Gastgeberland Einfluss auf politische Entscheidungen nimmt. Die Sozialdemokratin aus Griechenland wurde zusammen mit fünf anderen Verdächtigen nach mindestens 16 Razzien der belgischen Polizei am Wochenende festgenommen.
Vier davon kamen am Sonntag per Haftbefehl in Untersuchungshaft - darunter auch die 44-jährige Parlamentsvize. Bei den Durchsuchungen wurden 600 000 Euro Bargeld und Handys beschlagnahmt. In Kailis Wohnung sollen Medienberichten zufolge Taschen voller Bargeld gefunden worden sein.
Festgenommen wurden auch ein ehemaliger sozialdemokratischer Europa-Abgeordneter aus Italien, Antonio Panzeri, sowie Kailis italienischer Lebensgefährte.
Kaili suspendiert und von allen Aufgaben entbunden
Kaili wurde von Parlamentspräsidentin Roberta Metsola am Wochenende von all ihren Aufgaben entbunden. Bislang war sie eine von insgesamt 14 Stellvertretern. Formell muss die Entscheidung noch vom Parlament bestätigt werden, was bereits während der an diesem Montag beginnenden Plenarwoche in Straßburg erfolgen könnte.
Kaili zumindest fiel zuletzt mit einer eher ungewöhnlichen Haltung auf. Als das Parlament im November über eine Resolution diskutierte, die die WM in Katar kritisieren sollte, attestierte die Ex-Journalistin dem Land, Vorreiter in Sachen Arbeitsrecht zu sein. Die WM sei Beweis dafür, "dass Sportdiplomatie einen historischen Wandel in einem Land bewirken kann, dessen Reformen die arabische Welt inspiriert haben". Zudem beklagte sie, dass jeder, der mit Katarern spreche, der Korruption verdächtigt werde.
Lobbyarbeit in Brüssel: Stein ins Rollen gebracht?
In der EU-Hauptstadt, wo Gesetze für rund 450 Millionen Europäer gemacht werden, gehört Lobby-Arbeit selbstverständlich dazu, etwa 25 000 Lobbyisten tummeln sich laut des Vereins Lobbycontrol in der Stadt.
Doch dieser Fall ist anders, er könnte einen Stein ins Rollen bringen, wie Nicholas Aiossa von Transparency International EU erklärt: "Es ist eine wirklich überraschende Enthüllung, auch dass dies angesichts der Menge an Abgeordneten, die angeblich daran beteiligt sind, erst jetzt ans Licht kommt! Seit Jahren sehen wir kleinere Akte der Korruption bei den Mitarbeitern und durch andere Interessengruppen, wenn es zum Beispiel um Zulagen geht. Dies könnte also nur die Spitze des Eisbergs sein.
Michiel van Hulten von der Organisation Transparency International EU erklärte, es handele sich nicht um Einzelfälle. "Über Jahrzehnte hat das Parlament geduldet, dass sich eine Kultur der Straflosigkeit entwickelt - mit einer Kombination laxer Finanzregeln und -kontrollen sowie ohne jede unabhängige ethische Aufsicht." Jeder ernsthafte Versuch, mehr Verantwortlichkeiten zu schaffen, sei abgeblockt worden. Es sei Zeit für tiefgreifende Reformen.
Umgang mit WM-Gastgeber Katar in Zukunft
Der WM-Gastgeber Katar steht seit Jahren wegen der Menschenrechtslage und der Bedingungen für ausländische Arbeiter in der Kritik. Zahlreiche Mitglieder des damaligen FIFA-Exekutivkomitees, das 2010 die WM nach Katar vergeben hatte, sind inzwischen der Korruption überführt.
Katar selbst hat den Vorwurf der Bestechung zurückgewiesen. Sollte sich der Verdacht jedoch erhärten, ist die Frage wie die EU in Zukunft mit dem Golfstaat umgehen soll.
Der Innenausschuss des Europaparlaments stimmte Anfang Dezember dafür, die Visa-Regeln für Katar und andere Länder zu erleichtern. Das Parlament muss darüber aber noch mit den EU-Staaten verhandeln. In der aktuellen Situation scheint die Visa-Liberalisierung für Katarer in weiterer Ferne.
Angesichts des Korruptionsskandals fordern Politiker einschneidende Konsequenzen - und befürchten weitere Enthüllungen zu möglichen Schmiergeldzahlungen des steinreichen Golfemirats Katar.