Aus Protest gegen den Kurs seiner Fünf-Sterne-Partei im Ukraine-Krieg gründet Außenminister Di Maio eine neue Bewegung – und hat dabei vor allem seine eigene Zukunft im Blick. Doch auch die Machtverhältnisse in Draghis Regierungskoalition verschieben sich. Schlimmstenfalls drohen Neuwahlen.
© Getty ImagesMinisterpräsident Mario Draghi und Außenminister Luigi Di Maio bei der Parlamentsdebatte zum EU-Gipfel Quelle: Getty Images
In Italien ist am Dienstagabend die größte Regierungspartei am internen Streit über Waffenlieferungen an die Ukraine zerbrochen. Außenminister Luigi Di Maio verließ die populistische Anti-Establishment-Partei nach Streitigkeiten mit dem aktuellen Parteichef und früheren Ministerpräsidenten Giuseppe Conte.
Grund für die Querelen war vordergründig die Haltung der Partei zu Waffenlieferungen an die Ukraine, die Conte ablehnt. Di Maio gilt dagegen als Unterstützer der Linie von
Regierungschef Mario Draghi. Genaugenommen aber ging es um die Frage, ob es legitim ist, diesen Streit zu nutzen, um Wählerstimmen einzusammeln – wie es die populistische Fünf Sterne Partei zuletzt versucht hat.
Die Machtverhältnisse in Draghis breiter Regierungskoalition verschieben sich damit deutlich. Zwar will Di Maio mit seiner neuen Bewegung namens „Insieme per il futuro“ – Gemeinsam für die Zukunft – Draghis Regierungslinie stützen. Doch durch die Spaltung ist das ohnehin schon fragile Regierungsbündnis noch wackeliger und vorgezogene Neuwahlen wahrscheinlicher geworden. Das sind schlechte Aussichten für Italien, das derzeit wegen der schwierigen wirtschaftlichen Lage, einer Dürre-Periode und extrem hoher Staatsverschuldung schon genug Probleme hat.
Dabei waren Di Maio und seine Partei bislang aufs engste miteinander verbunden. Der heute 35 Jahre junge Di Maio ist nur dank der Fünf Sterne innerhalb von zehn Jahren von einem Niemand zum Vizeministerpräsidenten Italiens aufgestiegen. Und auch die Fünf Sterne haben von Di Maio profitiert: Als ihr Spitzenkandidat machte er sie 2018 mit 33 Prozent zum Wahlsieger.
Heute ist von dieser Zustimmung mit zwölf Prozent aber nur noch ein Drittel übrig. Die Fünf Sterne sind zur kleinsten der wichtigen Parteien geworden. Und weil im kommenden Frühjahr planmäßig Wahlen anstehen, versucht Parteichef Conte zunehmend verzweifelt, Wähler zurückzugewinnen. Dabei zielt er auf die in der Bevölkerung weit verbreitete pazifistische Haltung ab – und stellt sich damit gegen die Linie von Draghi, obwohl seine Partei Teil der Koalition ist und mit Di Maio sogar den Außenminister stellt.
Conte macht zunehmend Stimmung gegen die Waffenlieferungen an die Ukraine und polemisiert gegen die Erhöhung der Militärausgaben. Dabei hatten die Fünf Sterne im Februar im Parlament noch für die Lieferungen gestimmt und Conte damals als Ministerpräsident eine Erhöhung des Verteidigungsbudgets zugesagt.
Der letzte Beweis, dass es Conte nur um Stimmenfang und nie um einen echten Richtungswechsel ging, lieferte er am Dienstag: Als im Parlament vor dem EU-Gipfel über Draghis Linie abgestimmt wurde, stellten sich Conte und die Fünf Sterne nicht quer, sondern stimmten dafür.
Di Maio nutzte diesen Moment, um wegen der Doppelzüngigkeit der Fünf Sterne die Partei zu verlassen: „Es ist unverantwortlich, die Stabilität der Regierung aufs Spiel zu setzten, weil man zu wenige Stimmen hat“, erklärte er. Und weiter: „Angesichts der Gräueltaten Putins können wir nicht weiterhin uneindeutig sein, wir können nicht auf der falschen Seite der Geschichte stehen.“
Di Maios Abschiedsrede war gleichzeitig eine Abrechnung mit dem Populismus der Partei, der sie groß gemacht hat: „Ich glaube, dass die Zeit der Scheinheiligkeit vorbei ist, die Zeit jener, die einfache Lösungen für komplexe Probleme vorschlagen.“ Große Worte von Di Maio, der vor wenigen Jahren noch feierte, „die Armut abgeschafft“ zu haben, als seine Partei ein Hartz-IV-ähnliches Grundeinkommen eingeführt hatte.
Doch in den vier Jahren an der Regierung ist Di Maio offensichtlich politisch erwachsen geworden. Seine Äußerungen sind immer weniger von Populismus gezeichnet. Und gerade seit Draghi Ministerpräsident ist, fällt er als engagiertes Regierungsmitglied auf.
Aber natürlich wäre diese Episode in der italienischen Politik nicht komplett, wenn es nicht auch um den persönlichen Machterhalt ginge: Denn Di Maio und die Abgeordneten, die ihm in seine neue Bewegung folgen, verhindern damit auch, dass ihre politische Laufbahn im kommenden Jahr automatisch endet. Aktuell gibt es bei den Fünf Sternen nämlich eine Obergrenze von zwei Mandaten. Danach dürfen Politiker nicht erneut kandidieren – Di Maios Karriere wäre also mit dem Auslaufen dieser Legislatur beendet gewesen.
Der Streben nach Machterhalt ist es auch, was dafür spricht, dass die Regierungskoalition trotz des Chaos nicht unmittelbar zerfallen wird und vorgezogene Neuwahlen ausgerufen werden müssen. Das wäre nicht im Interesse der Parteien, denn das Parlament wurde um ein Drittel verkleinert: Nach den nächsten Wahlen wird es 600 Abgeordnete weniger geben.