Der geplatzte Besuch des russischen Außenministers Lawrow in Belgrad zeigt: Obwohl Serbien in die EU will, sucht das Land immer wieder die Nähe zu Moskau. Der Unmut in Brüssel ist groß.
Annäherung statt Abgrenzung: Während die EU ein Sanktionspaket nach dem anderen gegen Russland verhängt, stärkt der EU-Beitrittskandidat Serbien die Beziehungen zu seinem traditionellen Verbündeten. Das zeigt auch der geplante – und gescheiterte – Besuch des russischen Außenministers Sergej Lawrow für zweitägige Gespräche in der serbischen Hauptstadt.
Die Reise fiel aus, da mehrere Nachbarländer Serbiens Lawrows Maschine offenbar die Überflugrechte verwehren. Es handelt sich Medienberichten zufolge um
Bulgarien,
Montenegro und
Nordmazedonien.
Lawrow kritisierte, dass einige »Nato-Mitglieder« diese Reise verhindert hätten. Der Westen wolle den Balkan für sich, so wie er die Ukraine beanspruche. Die EU etwa setze im Fall der Ukraine ausschließlich auf jene Kräfte, die »allem Russischen den Krieg« erklärt hätten. Russland hatte seinen Krieg in der Ukraine auch damit begründet, dort die »russische Welt« vor ukrainischen Nationalisten zu schützen. »Unsere Beziehungen mit Serbien wird niemand zerstören können«, betonte Lawrow.
Serbien hat den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine zwar verurteilt, zugleich will Belgrad jedoch nicht mit Moskau brechen und lehnt es ab, sich den EU-Sanktionen gegen Russland anzuschließen. In Brüssel sorgt dies für Unmut.
Die EU erwarte, dass Serbien »seine Beziehungen zu Russland nicht weiter verstärkt«, erklärte EU-Sprecher Peter Stano. »Von den Beitrittskandidaten, einschließlich Serbien, wird erwartet, dass sie ihre Politik gegenüber Drittländern schrittweise an die Politik und die Positionen der Europäischen Union angleichen, einschließlich restriktiver Maßnahmen.«
Eines der großen Themen des Besuches hätten russische Energielieferungen sein sollen: Nur einen Tag vor der Einigung der EU-Mitglieder auf ein Teil-Embargo gegen russisches Öl hatte Belgrad vor einer Woche die Verlängerung eines Gasliefervertrags mit Russland verkündet – und dafür einen Rüffel aus Brüssel kassiert.
Serbiens Präsident Aleksandar Vučić jubelte dennoch über den »bei Weitem besten Deal in Europa«, mit dem sich sein Land weiterhin preiswerte Gaslieferungen aus Russland sichere – während in Europa die Sorge vor einem Lieferstopp wächst, nachdem Russland einigen EU-Ländern bereits den Gashahn zugedreht hat.
Ein Betritt zur EU ist aber weiterhin erklärtes Ziel der serbischen Regierung. In Belgrad sind jedoch auch andere Töne zu hören. Regierungsnahe Medien verbreiten die Botschaften des Kremls, es wurden sogar Forderungen laut, die Bewerbung für einen EU-Beitritt zurückzuziehen.
In einer aktuellen Meinungsumfrage gaben 40 Prozent der Serben an, dass sie »glücklich« wären, wenn ihr Land auf einen EU-Beitritt verzichten und stattdessen ein Bündnis mit Russland eingehen würde. »Es ist, als hätte man das letzte Jahrzehnt damit verbracht, die serbische Gesellschaft nicht auf den EU-Beitritt, sondern auf ein Bündnis mit Moskau vorzubereiten«, sagte Srdjan Cvijic von der Denkfabrik Biepag der Nachrichtenagentur AFP.
Belgrad weist den Vorwurf zurück, die günstigen Vertragsbedingungen zu den Gaslieferungen seien eine »Belohnung« des Kremls dafür, dass Serbien sich den Sanktionen gegen Moskau nicht angeschlossen hat. »All diejenigen, die uns vorwerfen, wegen eines Gasgeschäfts keine Sanktionen gegen Russland zu verhängen, sollten sich schämen«, sagte die serbische Regierungschefin Ana Brnabic. »Wenn wir keine Sanktionen gegen Russland verhängen, dann aus Prinzip.« Lawrow hatte kürzlich gegenüber serbischen Medien erklärt, Moskau sei sich sicher, dass Serbien »in dieser Situation weiterhin eine kluge Wahl treffen wird«.
Historische und kulturelle Verbindungen zum »großen Bruder« Russland
Auf eine »kluge Wahl« setzt vermutlich mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) auch einer der nächsten Besucher in Belgrad – auch wenn er darunter definitiv etwas anderes versteht als Lawrow. Scholz reist Ende der Woche nach Belgrad, er wird am Freitag auch das Kosovo besuchen.
Serbien sei »kein U-Boot und keine Marionette« Russlands, betonte Vučić kürzlich in einem »Handelsblatt«-Interview. Serbien verfolge jedoch seine eigenen »nationalen Interessen in Bezug auf das Kosovo und auch andere Fragen, in denen Russland unsere Haltung stützt«. Zudem hebt Vučić immer wieder die historischen und kulturellen Verbindungen zum »großen Bruder« Russland hervor.
Ohnehin hatte Belgrad in Energiefragen nur wenig Handlungsspielraum. Der bisherige Gasvertrag mit Russland lief aus, und es gab in naher Zukunft keine brauchbare Alternative. Serbien ist fast vollständig von russischen Energielieferungen abhängig.
2008 hatte Serbien eine Mehrheitsbeteiligung an der Öl- und Gasgesellschaft NIS an den russischen Energieriesen Gazprom verkauft. Das Geschäft wurde wenige Monate nach der von Serbien verurteilten Unabhängigkeitserklärung des Kosovo geschlossen und wurde als Zugeständnis an Moskau gewertet. »Es ist offensichtlich, dass es die ganze Zeit über eine gut organisierte Lobbyistengruppe gab, die das (russische) Monopol verteidigt hat und dies auch weiterhin tut«, sagt der Energieexperten Vasic.