Zwischen allen Stühlen
Die russische Botschafterin in Sofia, Eleonora Mitrofanowa, äußerte sich in in den vergangenen Tagen über ihr Gastland so undiplomatisch, dass in Bulgarien bereits darüber spekuliert wird, ob sie den Abbruch der Beziehungen provozieren - oder nur ihren Arbeitgebern in Moskau mit ihrem Übereifer gefallen wolle. Bulgarische Politiker seien "Diener der Nato-Propaganda", so Mitrofanowa, und vom ganzen bulgarischen Staat wäre im Zweiten Weltkrieg gerade mal die Provinz Sofia übrig geblieben, hätte die Sowjetunion dereinst nicht ihre schützende Hand über das kleine Land gehalten. Das Land müsse daher in der Frage der "Spezialoperation" zur "Vermeidung eines ukrainischen Genozids im Donbass" natürlich neutral bleiben, warnte sie - schon aufgrund der Dankbarkeit gegenüber den einstigen Befreiern.
In Bulgarien, das 45 Jahre lang ein Satellit der UdSSR war und unter Repression und politischer Isolation litt, hat man zwar eine weit differenziertere Meinung, was die historische Rolle Moskaus in Südosteuropa angeht. Aber Mitrofanowas Äußerungen dürften ohnehin vor allem auf den traditionell russlandfreundlichen Teil der bulgarischen Bevölkerung abgezielt haben. Was die Völkerfreundschaft angeht, ist nämlich, in den Augen Moskaus, Sorge angezeigt: Die Sympathien für Russland und Wladimir Putin sind seit dem Angriffskrieg gegen die Ukraine laut Umfragen von 60 auf unter 30 Prozent gefallen. Erst vor wenigen Tagen marschierten Tausende aus Solidarität mit der Ukraine vom Präsidentenpalast zur Adlerbrücke auf jener bekannten Route durch die Sofioter Innenstadt, auf der vor zwei Jahren fast täglich Großdemonstrationen gegen die eigene Regierung stattgefunden hatten.
Die Botschafterin hat aber auch ganz konkrete Gründe für ihre ätzenden Äußerungen: Zum zweiten Mal innerhalb weniger Wochen hat die bulgarische Regierung russische Diplomaten wegen Spionagevorwürfen ausgewiesen. Und sie hat sich, was im russischen Außenministerium mit Drohungen quittiert wurde, gemeinsam gegen den Angriffskrieg gegen die Ukraine positioniert. Für ein EU-Land und Nato-Mitglied ist das einerseits nicht überraschend, aber für Bulgarien mit seinen traditionell engen historischen Bindungen zu Moskau und seiner großen Abhängigkeit von russischem Gas ein wichtiger Schritt.
Der Krieg gegen die Ukraine führt in Bulgarien zu einem Sinneswandel vieler Moskau-Fans
Der Krieg hat die politische Agenda in Bulgarien wenige Monate nach dem Amtsantritt einer extrem heterogenen und mit vielen, politisch unerfahrenen Ministern besetzten Regierungskoalition grundlegend verschoben. Eigentlich sollte es - endlich - um einen demokratischen Neuanfang, um den Kampf gegen Korruption und Mafiastrukturen gehen. Doch nun überlagert das Gemetzel in der nur wenige Hundert Kilometer entfernten Ukraine alle anderen Themen, zumal dort auch eine bulgarische Minderheit von etwa 150 000 Menschen lebt.
Tiefe Risse in der Koalition sind aufgebrochen, die andernfalls wohl noch eine Weile hätten übertüncht werden können. Anfang März etwa wurde der Verteidigungsminister entlassen, der nicht von einem "Krieg" sprechen mochte und davor gewarnt hatte, dass eine dauerhafte Stationierung von Nato-Truppen den nationalen Interessen schaden könnte. Dennoch hat das Land letztlich einer Stärkung von Nato-Truppen auf seinem Boden zugestimmt und sich dazu auch eng mit den "Bukarest-Neun" abgestimmt. Diese Kooperation war aus Sorge vor einer russischen Aggression nach der Krim-Annexion als Zusammenschluss osteuropäischer Staaten in der Nato entstanden. Jedoch: Sofia hat sowohl eigene Waffenlieferungen wie ein Gas-Embargo ausgeschlossen. Das war intern nicht durchsetzbar.
Der reformorientierte, letztlich aus den Protesten von 2020 als Ministerpräsident hervorgegangene Ex-Geschäftsmann Kiril Petkow muss sich nämlich mit den traditionell Moskau-freundlichen Sozialisten arrangieren, die den Wortlaut der gemeinsamen Erklärung im Parlament aus Angst vor ihrer prorussischen Klientel stark verwässerten. Aber auch mit einer erstarkenden extremen Rechten, die auf den Straßen für Moskau mobilisiert. Und dann ist da noch die konservative, ehemalige Regierungspartei Gerb, jetzt die größte Oppositionspartei, die eigentlich auf EU-Kurs ist und offiziell eine entschiedene Politik gegen Moskau mitträgt. Aber seit ihr Parteiführer und Ex-Regierungschef Bojko Borissow vor zwei Wochen unter großem Medienrummel wegen Korruptions- und Erpressungsvorwürfen festgenommen und für 24 Stunden festgehalten wurde, ist die Gesprächsbasis in dieser Sache schwer beschädigt.
Der bulgarische Journalist Martin Dimitrov von der Wochenzeitschrift Kapital sagt, man sehe, wie Ministerpräsident Petkow laviere. Ihm fehle die Kraft, eine entschiedenere Anti-Moskau-Politik durchzusetzen, während sich die Parteichefin der Sozialisten in der Imitation von Viktor Orbán versuche, indem sie ihre Position zwischen allen Stühlen als "Friedenspolitik" verteidige.
Im Umfeld des Ministerpräsidenten und seiner Partei "Wir setzen den Wandel fort" sieht man das hingegen ganz anders. Der grauenhafte Krieg gegen die Ukraine eröffne in Bulgarien selbst neue Chancen; was bisher unverhandelbar, unsagbar erschienen sei, sei nun politisch leichter vermittelbar: die Absage an einen neuen Liefervertrag mit Gazprom, wenn der jetzige 2023 ausläuft. Das Ende der Verhandlungen über einen mit russischer Hilfe gebauten Atommeiler. Der Umbau des Militärs weg von überkommener, sowjetischer Technik. Vor allem die mit der Nähe zu Russland sozialisierte und an die Abhängigkeit von Moskau gewöhnte ältere Generation, sagt eine Beraterin Petkows, wende sich nun ab - und entwickele ein neues, skeptischeres Denken. Der Krieg ändere, sagt sie, "wie wir uns sehen und wer wir sind".
Rumäniens Präsident hat höhere Verteidigungsausgaben angekündigt
Moskaus Trolle in den sozialen Netzen und seine verbliebenen Freunde im Land halten mit Fake News und Angstkampagnen dagegen. So wird behauptet, Petkow wolle einen geheimen, riesigen Nato-Stützpunkt bauen lassen und Bulgarien in den Krieg hineinziehen. Meldungen darüber, dass das Land kein Benzin mehr habe, führten innerhalb von Stunden zu langen Schlangen vor den Tankstellen. Gegen solche Kampagnen, heißt es in der Regierung erschöpft, sei man leider noch nicht ausreichend gerüstet.
Vielleicht ist deshalb die Kooperation mit EU und Nato besonders eng. Immerhin, konzediert Boris Popivanov in einer Analyse für die Friedrich-Ebert-Stiftung, habe Bulgarien fast demonstrativ allen Maßnahmen seiner Partner zugestimmt: etwa den EU-Sanktionen, dem Ende der Mitgliedschaft Moskaus im Europarat - und, wenngleich mit Bauchschmerzen, der Stärkung der Nato-Flanke im Osten.
Im Engagement für eine neue Verteidigungspolitik tut sich derzeit vor allem das Nachbarland Rumänien hervor. Es steht - seit dem gemeinsamen Eintritt in die EU 2007 - ebenso wie Bulgarien nach wie vor unter kritischer Beobachtung in Brüssel. Auch hier regiert, seit dem Herbst, eine neue und sehr heterogene Koalition, auch hier müssen proeuropäische und eher russlandfreundliche Kräfte sich arrangieren. Und auch hier ist es unter anderem der Präsident Klaus Johannis, der, wie sein Amtskollege Rumen Radew in Bulgarien, den Angriffskrieg Moskaus besonders deutlich verurteilte.
Militärpolitisch aber sind die Entscheidungen in Bukarest weit schneller gefallen als bei den Nachbarn: Das arme Land investiert Millionen in den Ausbau seiner militärischen Infrastruktur, Nato-Partner haben bereits zusätzliche Kampfflugzeuge und Abfangjäger überstellt. Johannis hat eine Erhöhung der Verteidigungsausgaben von 2 auf 2,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts angekündigt. Die Ukraine ist zu nah, die gemeinsame Grenze mit 640 Kilometern zu lang, Moldawien und das von russischen Truppen kontrollierte Transnistrien sind ein Sicherheitsrisiko - alles Gründe, warum man in Bukarest besonders eng mit den Partnern kooperiert. Ministerpräsident Nicolae Ciucă formulierte das am Rande des letzten Nato-Treffens - auf einer gemeinsamen Pressekonferenz unter anderem mit dem Kollegen Petkow aus Bulgarien so: "Ich habe den böswilligen Druck Russlands und seinen Einfluss in der Region zur Kenntnis genommen. Wir haben uns entschieden, dem entgegenzuwirken."