Russland ist eine militärische Macht – die EU nicht. Doch die Union könnte die ukrainische Wirtschaft stabilisieren, die großen Schaden durch russische Drohungen nimmt.
"Das ist kein Krieg in der Ukraine, das ist Krieg in Europa" – diesen eindeutigen Satz sprach der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskij auf der Münchner Sicherheitskonferenz. Er verlangte von Europa und der Nato konkrete Antworten. Und was tat EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen? Sie hielt auf der Konferenz eine Rede, die gespickt war mit Lob für die Ukrainer und mit scharfer Kritik an Russland. Sie sprach auch über Sanktionen, die Russland sehr schmerzen würden, für den Fall, dass es die Ukraine angreife.
Für den ukrainischen Präsidenten müssen dieses Versprechen hohl geklungen haben. Für ihn – das hat er in München klargemacht – ist es unverständlich, warum
die Aggression Russlands nicht schon jetzt von der EU härter bestraft wird. Der Krieg hat seit Beginn des Konfliktes 2014 tatsächlich nie wirklich aufgehört und in den letzten Wochen hat der russische Präsident Putin ihn noch mal erheblich verschärft. Er kann jederzeit den Befehl zur Invasion geben. Da wirkte von der Leyen ziemlich abgehoben.
Die Ursache für die etwas luftige Rede der Kommissionspräsidentin kann man ihrem allseits bekannten Hang zum Pathos zuschreiben. Doch das allein reicht nicht als Erklärung. Vielmehr ist sie ein Zeichen dafür, dass die EU in diesem sich zuspitzenden Konflikt Zaungast ist. Das ist nicht frei von bitterer Ironie. Denn der Konflikt mit Russland begann 2014, weil sich die Ukraine auf den langen Weg machte, Mitglied der Europäischen Union zu werden. Das wollte Russlands Präsident Wladimir Putin nicht akzeptieren. Und jetzt, da er die Ukraine mit allen Mitteln wieder unter seinen Einfluss zwingen will, spielt die EU eine Nebenrolle. Das ist ihr nicht grundsätzlich anzulasten. Putin eskaliert den Konflikt mit militärischen Mitteln, und die EU ist keine militärische Macht. Sie kann in dieser Hinsicht nicht mit Russland mithalten.
Putin könnte die Ukraine wirtschaftlich strangulieren
Doch das bedeutet nicht, dass sie keine Rolle spielt. Zum einen bleibt sie für viele Ukrainerinnen und Ukrainer, die ihr Land im Westen verankert sehen wollen, der Fluchtpunkt ihrer Hoffnungen. Selenskij verlangte auf der Münchner Sicherheitskonferenz denn auch konkrete Antworten des Westens. Er meinte damit in erster Linie die Aussicht seines Landes auf Mitgliedschaft in der Nato, der Organisation, unter deren Dach sich die Ukrainer vor der russischen Aggression sicher fühlen könnten. Aber ein paar ermutigende Worte von der Leyens zum Beitritt der Ukraine zur EU hätten durchaus ihre Wirkung entfalten können.
Doch die EU kann mehr als nur Zuspruch geben, viel mehr. Gerade jetzt. Denn der seit Wochen sich entfaltende Aufmarsch der russischen Armee hat gravierende Folgen für die ukrainische Wirtschaft: Wer traut sich schon in einem Land zu investieren, das morgen schon von russischen Panzern niedergewalzt werden könnte? Möglich, dass Putin gar keine Invasion plant, sondern die Ukraine langsam strangulieren will. Die Ukraine könnte unter dem militärischen Druck, der erheblichen wirtschaftlichen Schaden anrichtet, kollabieren.
Daher braucht die Ukraine dringend finanzielle Hilfen – und die kann die EU liefern.
Seit Beginn des Konfliktes im Jahr 2014 hat sie Kredite im Umfang von insgesamt 17 Milliarden Euro gewährt, kürzlich hat sie 31 Millionen Euro für die ukrainische Armee lockergemacht, sie hat 200 Millionen Euro Corona-Hilfen ausgezahlt und kürzlich noch einmal 1,2 Milliarden Euro freigegeben, um die dringendsten finanziellen Bedürfnisse abzudecken. Außerdem besteht für ukrainische Staatsbürger seit 2017 EU–Visafreiheit. All diese Maßnahmen sollen die ukrainische Wirtschaft stärken, ihre Gesellschaft resilienter machen und sie Schritt für Schritt enger mit dem Westen verweben. Das alles treibt die EU weiter voran.
Bei der Korruptionsbekämpfung hat auch die EU versagt
Im Gegenzug muss die ukrainische Regierung Reformen umsetzen, die in erster Linie das Ziel haben, den Rechtsstaat zu stärken und die Korruption zu bekämpfen, eine Geißel für die Ukraine. Doch leider sieht es damit nicht gut aus. Ein Sonderbericht des Europäischen Rechnungshofes, im September letzten Jahres veröffentlicht, kommt zu einem niederschmetternden Schluss: "Großkorruption und eine Vereinnahmung des Staates im Sinne privater Interessen sind in der Ukraine immer noch weit verbreitet." Die EU habe "in den unterschiedlichsten Bereichen – vom Wettbewerbsumfeld über die Justiz bis hin zur Zivilgesellschaft – Anstrengungen unternommen und Geld bereitgestellt. Doch diese Unterstützung und die ergriffenen Maßnahmen haben nicht zu den erhofften Ergebnissen geführt". Dieser Bericht könnte dazu verleiten, das Land als "hoffnungslos" abzuschreiben. Das wiederum wäre ganz im Sinne des Aggressors Wladimir Putin, der der Ukraine ohnehin das Existenzrecht abspricht.
Doch der Rechnungshofbericht ist vor allem eine Kritik an der EU selbst. In dem Bericht steht weiter: "Der EU sind die Verbindungen zwischen Oligarchen, hochrangigen Beamten, Politikern, der Justiz und staatseigenen Unternehmen seit Langem bekannt. Trotzdem hat sie keine echte Strategie zur Bekämpfung von Korruption auf höchster Ebene entwickelt."
Der Ukraine helfen, das heißt eben auch: Die EU muss ihre Instrumente schärfen, sie muss an sich selbst arbeiten und besser werden. "Großkorruption" bleibt ein ernsthaftes Problem für die Ukraine. Doch sie ist jetzt vor allem ein Land, das in seiner Existenz bedroht ist und deren Bewohner möglicherweise von russischen Soldaten überfallen werden. Es ist ein Land in Not, das jetzt die Hilfe der EU braucht.