Zitat von Gast am 17. Dezember 2021, 08:43 Uhr
Massive Kritik an Ampelplänen
Von Pandemie-Problemen bis zum Ukraine-Konflikt: Bei Olaf Scholz' erstem Auftritt als Kanzler auf EU-Ebene stehen große Krisen auf dem Programm. Von manchem Regierungschef wird er kalt empfangen.
Euphorischer hätten die Lobeshymnen auf
Angela Merkel kaum sein können, als sie im Oktober auf dem EU-Gipfel in Brüssel verabschiedet wurde. Der griechische Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis würdigte sie als "Stimme der Vernunft", der Luxemburger Xavier Bettel als "Kompromissmaschine" und EU-Ratspräsident
Charles Michel bezeichnete sie sogar als "Monument". "Der Europäische Rat ohne Angela ist wie Rom ohne den Vatikan oder Paris ohne den Eiffelturm", sagte der Belgier über Merkel.
Die Fußstapfen, in die der neue Kanzler
Olaf Scholz nun tritt, könnten also größer kaum sein. Der erste öffentliche Auftritt des SPD-Politikers bei seiner Gipfelpremiere am Donnerstag in Brüssel ist aber erst einmal sehr zurückhaltend und unspektakulär. Auf dem roten Teppich im EU-Ratsgebäude zählt der neue Kanzler kurz die Themen auf, um die es in den nächsten Stunden gehen wird: Flüchtlinge in Belarus, Truppenaufmarsch an der Grenze zur Ukraine,
Corona-Pandemie. "Große Aufgaben also", sagt er. Immerhin beantwortet er noch zwei Journalistenfragen – was seine Vorgängerin in diesen Situationen stets vermieden hat.
Auch Scholz ist eher Pragmatiker als Vordenker
Klare Botschaften in Richtung Europa waren von Scholz allerdings am Tag vor dem Gipfel gekommen. "Das Gelingen Europas ist unser wichtigstes nationales Anliegen", sagte er in seiner ersten Regierungserklärung im Bundestag. Oder: "Zusammenhalt und Souveränität – das ist die Aufgabe für Europa. Für das Gelingen des souveränen Europas trägt unser Land eine besondere Verantwortung. Nicht nur wegen unserer Geschichte."
Wie er seine eigene Rolle in Europa sieht, hat Scholz bisher noch nicht verraten. Merkel ist in der
Europäischen Union stets für ihr Krisenmanagement gefeiert worden. Ihr wurde aber immer vorgeworfen, dass sie in ihrer 16-jährigen Regierungszeit keine Vision für Europa entwickelt hat. Scholz ist genauso wie sie eher Pragmatiker als Vordenker. "Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen", hatte sein Vorbild, der frühere Kanzler
Helmut Schmidt, einmal gesagt.
Polens Ministerpräsident spricht von "Gleichschaltung"
Der Koalitionsvertrag mit Grünen und FDP gibt allerdings schon einige progressive Ideen zur Zukunft Europas her. Darin wird die Weiterentwicklung der EU zu einem "föderalen europäischen Bundesstaat" befürwortet. Dass das nicht überall gut ankommt, bekam Scholz bei seinem Antrittsbesuch in Warschau ziemlich deutlich zu spüren. Der polnische Ministerpräsident
Mateusz Morawiecki sprach von "Gleichschaltung und Gleichmacherei", die seine Regierung ablehne.
Noch deutlicher wurde der ungarische Ministerpräsident
Viktor Orban in einem Beitrag für die "Bild"-Zeitung: "Die neue linksliberale Regierung strebt weg von Kohls Europa der Vaterländer hin zu einer migrations- und genderfreundlichen, deutsch geprägten, zentralistischen Politik aus Brüssel. Hier stehen wir nicht mehr Seite an Seite."
Scholz betont französisch-deutsche Freundschaft
Der Gegenwind der beiden nationalkonservativen Regierungen kommt nicht überraschend. Viel wichtiger wird für Scholz aber sein, wie er mit seinem wichtigsten Verbündeten, dem französischen Präsidenten
Emmanuel Macron, zurecht kommt. Der hat im ersten Halbjahr 2022 die EU-Ratspräsidentschaft – und eine Wahl zu bestehen. Das könnte zu Profilierungsversuchen auf der europäischen Bühne führen.
Scholz versprach in seiner Regierungserklärung, dass er in Europa keine Initiative ohne Frankreich ergreifen werde. "Die deutsch-französische Verständigung ist die notwendige Bedingung für Fortschritt in Europa", sagte er.
Die Baustellen, die Merkel ihrem Nachfolger hinterlassen hat, sind jedenfalls groß. Gleich an seinem ersten Gipfeltag musste sich Scholz am Donnerstag mit dem eskalierenden
Ukraine-Konflikt, den besorgniserregenden Entwicklungen in der Corona-Pandemie und dem für viele Menschen in der EU dramatischen Anstieg der Energiepreise beschäftigen.
Scholz wirbt in Ukraine-Konflikt für Treffen mit Putin
Öffentlich äußerte er sich zunächst nur zum Thema Russland. Mit Blick auf den aktuellen Aufmarsch russischer Truppen an der Grenze zur Ukraine betonte er, dass die Unverletzbarkeit der Grenzen eine der ganz wichtigen Grundlagen des Friedens in Europa sei. Man werde "alles dafür tun, dass es bei dieser Unverletzbarkeit tatsächlich bleibt".
Scholz hat schon in den vergangenen Tagen immer wieder klar gemacht, dass er dabei auf das sogenannte Normandie-Format setzt, in dem Deutschland und Frankreich seit Jahren versuchen, zwischen Russland und der Ukraine zu vermitteln. Auch Merkel hatte kurz vor dem Regierungswechsel noch versucht, ein Spitzentreffen mit dem russischen Präsidenten
Wladimir Putin und dem ukrainischen Präsidenten
Wolodymyr Selenskyj zustande zu bringen. Es gelang ihr nicht.