Valérie Pécresse ist Frankreichs konservative Präsidentschaftskandidatin und der neue Star in den Umfragen. Wer ist die Frau, die von sich selbst sagt, sie sei "zwei Drittel Merkel"?
Macrons gefährlichste Konkurrentin
Valérie Pécresse mag Käse. Und zwar auf die Art, wie Politiker Käse mögen: als Bewerbungsschreiben an die Wähler, als Bekenntnis zur französischen Kultur. Was sie am Wahlkampf am meisten möge, sagte die Präsidentschaftskandidatin der Républicains kürzlich in einem Fernsehinterview, sei die Möglichkeit, überall im Land andere Käse zu probieren. Dazu wurden Bilder gezeigt, wie Pécresse tütenweise Käse, den sie als "sehr intensiv" bezeichnet, in ihren Dienstwagen lädt. Und wenn es etwas gibt, was sie am besten beschreibt, dann die Tatsache, dass sie "sehr gerne esse".
Man kann das als Nebensache abtun, oder sich an das Ausmaß der nationalen Anteilnahme erinnern, als 2019 der Ex-Präsident Jacques Chirac starb. Zwei Feststellungen fanden sich damals in jedem Kommentar: Chirac sei der letzte große Präsident Frankreichs gewesen, der das Volk noch hinter sich wusste. Und Chirac habe wirklich sehr gut essen können. Viel und immer. Von wem wurde Pécresse die hohe Käsekunde gelehrt? Von ihrem politischen Ziehvater Chirac, der die heute 54-Jährige 1998 zu seiner Beraterin machte. In der wahlentscheidenden Disziplin der offensiv gezeigten Volksnähe scheint Pécresse ihre Strategie gefunden zu haben.
Und tatsächlich: Pécresse ist nicht nur gut vorbereitet auf diesen Wahlkampf, er könnte für sie gar nicht besser beginnen. Am Samstag wurde Pécresse durch eine interne Abstimmung in ihrer Partei Les Républicains zur Präsidentschaftskandidatin ernannt. Und drei Tage später sagt die erste Umfrage ihren Sieg für April 2022 voraus. "Pécresse schlägt Macron" titelt eine Zeitung am Mittwoch, als sei es schon geschehen.
Es gehört zu den gängigen Dynamiken der französischen Präsidentschaftswahlkämpfe, dass die Kandidaten der großen Parteien einen Sprung nach vorn machen, wenn sie offiziell ernannt werden. Doch bei Pécresse war dieser Sprung ungewöhnlich groß: Das Umfrageinstitut Elabe sah sie am Dienstag bei 20 Prozent. Eine Zunahme von elf Prozentpunkten. Und träfe Pécresse in der Stichwahl auf Emmanuel Macron, könnte sie den amtierenden Präsidenten schlagen. Laut Elabe käme sie aktuell auf 52 Prozent, Macron auf 48. Schon bevor Pécresse sich bei den Républicains durchsetzte, hieß es aus dem Élysée, man halte sie für "die gefährlichste Konkurrentin" Macrons.
"Wenn man links ist, weiß man das."
Wer also ist Pécresse? Geboren wird sie in Neuilly-sur-Seine im Nordwesten von Paris, einer der wohlhabendsten Gemeinden Frankreichs. Die Mutter ist Hausfrau, der Vater ein bekannter Wirtschaftsprofessor, die Tochter Valérie besucht die besten Schulen. Zunächst macht sie einen Abschluss an der renommierten Wirtschaftshochschule HEC, dann absolviert sie die Elite-Verwaltungshochschule ENA, Frankreichs Kaderschmiede für Politiker und angehende Präsidenten. Ihre politische Karriere beginnt unter Chirac als Beraterin. Sie habe sich als Jugendliche "weder als links noch als rechts" wahrgenommen, sagte Pécresse in einem Interview. Und ergänzt: "Aber das heißt ja meist, dass man rechts ist, denn wenn man links ist, dann weiß man das."
Unter Nicolas Sarkozy, der wie keiner vor ihm einen national-identitären Ton ins Élysée bringt, wird Pécresse 2007 Ministerin für Hochschule und Forschung. 2015 wird sie zur Präsidentin der Region Île-de-France gewählt, zu der auch Paris gehört. Pécresse betont gern, dass sie als Regionalpräsidentin spare und Neuverschuldung vermeide. Beschreibt man Pécresse in den Worten ihrer Gegner, ist sie eine unterkühlte Karrieristin, die ihre Positionen opportunistisch dem Zeitgeist anpasst. 2012 nahm sie an Demonstrationen gegen die "Ehe für alle" teil. Diese "Manif pour tous" wurden von erzkonservativen Katholiken organisiert, die den rechten Flügel der Républicains unterstützten. 2014 sagte Pécresse, sie habe ihre Meinung geändert, die "Ehe für alle" dürfe nicht rückgängig gemacht werden.
In ihrer eigenen Vorstellung ist Pécresse "zu zwei Dritteln Angela Merkel, zu einem Drittel Margaret Thatcher". Pécresse wählt diesen Vergleich zum einen, um zu betonen, dass in Frankreich die Zeit für eine Frau an der Staatsspitze gekommen sei. Zum anderen, weil sie wie Merkel als Pragmatikerin wahrgenommen werden will. Und wie Thatcher als harte Reformerin.
Doch was ist an dem Merkel-Vergleich dran? Kaum einer kann das besser beantworten als Marion Van Renterghem, Frankreichs bekannteste Merkel-Biografin, die 2019 ein Interviewbuch mit Pécresse herausgebracht hat und also beide Frauen sehr gut kennt. "Es ist ja sehr in Mode, sich mit Merkel zu vergleichen, wegen ihrer langen Amtszeit und wegen ihrer Popularität", sagt Van Renterghem. Auch Pécresses interner Kollege bei der Vorwahl der Républicains, Michel Barnier, und die sozialistische Präsidentschaftskandidatin Anne Hidalgo hätten sich mit Merkel verglichen. Bei Pécresse habe dieser Vergleich jedoch eine glaubwürdige Basis: "Pécresse hat mit Merkel gemeinsam, dass sie eine fleißige, ruhige Frau ist, die sich wenig aus Geld macht und die im Team arbeiten kann. Außerdem ist es beiden Frauen gelungen, sich gegen die Machos in ihren jeweiligen Parteien durchzusetzen."
Ihre große Aufgabe: "die Extreme ihrer Partei zu vereinen"
Pécresse ist die erste Frau, die von den Konservativen als Präsidentschaftskandidatin aufgestellt wird. Ein Umstand, den Pécresse häufig und stolz erwähnt. Nach ihrer Wahl bedankte sie sich bei den Mitgliedern der Républicains für "ihren Mut", eine Frau aufzustellen. Für die Merkel-Biografin Van Renterghem hören die Parallelen zwischen Pécresse und der früheren Kanzlerin jedoch bei der politischen Identität der beiden Politikerinnen auf. Pécresse positioniere sich "deutlich weiter rechts" als Merkel. Zudem stehe Pécresse vor der Aufgabe, "die Extreme ihrer Partei zu vereinen. Das wird schwierig", so Van Renterghem.
Pécresse hatte sich in der parteiinternen Stichwahl gegen den Rechtsaußen Éric Ciotti durchgesetzt. Pécresse kam auf 61 Prozent der Stimmen, Ciotti auf 39. Ein Ergebnis, das hoch genug ist, um den Südfranzosen zu den aktuell hörbarsten Stimmen der Républicains zu machen. Ciotti macht keinen Hehl aus seiner ideologischen Nähe zu dem rechtsextremen Präsidentschaftskandidaten Éric Zemmour.