Ausgerechnet eines der kleinsten Länder der EU hat sich entschlossen, gegenüber China hart aufzutreten und prinzipientreu zu bleiben – und ist deshalb ins Visier der chinesischen Führung geraten. China hat offenbar die Einfuhr von Produkten aus Litauen gestoppt, vermutlich als Reaktion auf eine ausgesprochen kritische Haltung des baltischen Landes gegenüber Peking.
Die litauische Regierung berichtet, dass Litauen mit dem Monatswechsel zum 1. Dezember offenbar komplett aus dem chinesischen IT-System für Zollerklärungen gestrichen wurde. Für den chinesischen Zoll existiert Litauen damit nicht mehr – und dementsprechend kann er die Einfuhr von Gütern aus dem Land nicht mehr genehmigen.
Die Folge: Container mit Möbeln und anderen Holzprodukten aus Litauen werden in chinesischen Häfen festgehalten. Die chinesische Seite hat sich gegenüber Litauen zu den Vorgängen nicht geäußert. Chinesische Staatsmedien haben diese Darstellung zurückgewiesen.
Die litauische Regierung geht davon aus, dass die Maßnahme eine Vergeltung für die robuste China-Politik des Landes ist. Das Land mit seinen drei Millionen Einwohnern fährt China bereits seit Längerem in die Parade: So hat das litauische Parlament in einer Resolution Chinas Behandlung der Uiguren als „Völkermord“ und „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ bezeichnet.
Im März hatte Litauen angekündigt, eine Handelsvertretung auf der Insel Taiwan zu eröffnen. Es war eine absehbar provokante Entscheidung, denn Peking betrachtet Taiwan als Teil Chinas und reagiert äußerst empfindlich auf jede noch so kleine Geste, die eine staatliche Eigenständigkeit Taiwans unterstreicht. Peking protestierte denn auch umgehend.
Litauen hatte im Juli Taiwan erlaubt, eine Vertretung in Vilnius zu öffnen, die de facto als Botschaft dienen wird. Daraufhin zog China im August seinen Botschafter aus Litauen ab und wies den litauischen Botschafter aus Peking aus.
Im Mai hatte Litauen zudem öffentlichkeitswirksam erklärt, den Club der 17+1 zu verlassen. Es war ein Forum von 17 Ländern aus Mittel- und Osteuropa mit China, mit dem die Führung in Peking die betreffenden Länder an sich binden wollte.
Rückendeckung aus dem Europäischen Parlament
Kritikern gilt das Bündnis als Strategie Pekings, die EU zu spalten. In der litauischen Hauptstadt Vilnius sieht man das offenbar genauso. „Die EU ist am stärksten, wenn alle 27 Mitgliedstaaten an einem Strang ziehen“, begründete damals Außenminister Gabrielius Landsbergis den Austritt seines Landes und forderte andere EU-Länder auf, es seinem Land gleichzutun. Landsbergis forderte jetzt von der Europäischen Kommission Unterstützung angesichts der chinesischen Handelsblockade.
Aus dem Europäischen Parlament bekommt er Rückendeckung für seine Forderung. „Das ist kein Angriff auf ein einzelnes Land, sondern ein Angriff auf die gesamte EU und deshalb ist eine solidarische Reaktion nötig‘“, sagt der grüne Europa-Abgeordnete Reinhard Bütikofer.
„Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sollte das Thema deshalb auf die nächste Tagesordnung der Sitzung der Kommissare am Mittwoch nehmen und Charles Michel, der Vorsitzende des Europäischen Rates, sollte die Aggression Chinas gegenüber Litauen auf die Tagesordnung des nächsten EU-Gipfels setzen.“ Die EU-Staats- und Regierungschefs wollen am 16. Und 17. Dezember beraten, dann wird auch der designierte Bundeskanzler Olaf Scholz an dem Treffen teilnehmen.
„Die chinesischen Maßnahmen sind völlig inakzeptabel und ein plumper Versuch einem Mitgliedstaat der EU den eigenen Willen aufzudrücken“, sagt auch Bernd Lange. Der SPD-Politiker ist Vorsitzender des Handelsausschusses im EU-Parlament. „Darauf werden wir reagieren, auch über eine Klage bei der Welthandelsorganisation.“ Der Vorfall unterstreiche aber die Lücke, die es derzeit im Werkzeugkasten der EU gebe.
Tatsächlich will der auch für Handelsfragen zuständige Vizepräsident Valdis Dombrovskis am Mittwoch ein neues Instrument präsentieren, mit der sich die EU gegen Sanktionen Chinas wehren könnte. Das sogenannte Instrument zur Bekämpfung von Zwangsmaßnahmen soll es der EU künftig leichter machen, schnell und entschieden gegen wirtschaftliche Sanktionen vorzugehen. Chinas Vorgehen gegen Litauen, könnte es jetzt leichter machen, das EU-Parlament und vor allem die Mitgliedstaaten zur Zustimmung zu bewegen.
Die Details des Vorhabens, das von Deutschland und Frankreich unterstützt wird, sind in Grundzügen bereits bekannt. Entscheidend soll sein, dass die Europäische Kommission künftig von sich aus entsprechende Gegenmaßnahmen zur Abwehr in Bewegung setzen kann, ohne dass sie vorher die Genehmigung der Mitgliedstaaten einholen muss. Das berichtet der Informationsdienst Politico (Politico gehört wie WELT zur Axel Springer SE) aus einem Entwurf der Pläne.
EU hofft auf Abschreckung
Die Hoffnung in Brüssel: Schon die Existenz des Mechanismus, wird andere Staaten, allen voran China und die USA, davon abhalten, wirtschaftliche Zwangsmaßnahmen zu verhängen.
„Chinas Sanktionen gegen Litauen zeigen, wie notwendig das Instrument gegen Zwangsmaßnahmen ist“, sagt der CDU-Europaabgeordnete Sven Simon. „Wir brauchen eine Rechtsgrundlage um zügige Gegenmaßnahmen ergreifen zu können. Die EU muss selbstbewusster als bisher ihre Handelsinteressen vertreten, dazu gehört insbesondere auch der Schutz kleinerer Mitgliedstaaten.“
Bisher werden wirtschaftliche Sanktionen häufig verhindert, wenn sie von den Außenministern der Mitgliedsländer beschlossen werden müssen. In diesen Runden ist Einstimmigkeit nötig, es gibt aber immer wieder einzelne Länder, die sich Sanktionen widersetzen.