Das Bild, das die Ampel abgibt, ist mit katastrophal nur unzureichend beschrieben. Und dennoch: Olaf Scholz hat beste Chancen, auch die nächste Bundestagswahl zu gewinnen.
Als der Kanzler sich in der vergangenen Woche vor der Hauptstadtpresse in die Ferien verabschiedete, ergriff ihn eine auf den ersten – und ja: selbst auf den zweiten Blick – seltsame Fröhlichkeit. "Jingle Bells" weihnachtete das Smartphone eines Fotografen in die versammelte Andacht hinein, bis der es aus der Tasche genestelt und ruhig gestellt hatte.
Da war es um Olaf Scholz aber längst geschehen. Er bekam sich kaum mehr ein vor Lachen, machte diese Äuglein fast ohne Sehschlitz, die der frühere Journalist Markus Söder einmal "schlumpfig" genannt hatte. Eine Szene, die an die legendäre Liveaufnahme von "Are You Lonesome Tonight" erinnerte, bei der Elvis Presley vor Lachen nicht mehr singen konnte.
Aber was hat der Kanzler zu kichern? Seine Ampelkoalition ist so zerstritten wie seit Korrespondenten-Gedenken keine in der Geschichte der Bundesrepublik. Das Land steht vor leeren Kassen und riesigen Verteilungskämpfen. Die AfD klettert von Allzeithoch zu Allzeithoch. Und der als spröde geltende Kanzler bekommt einen Lachanfall, so ansteckend, dass der Saal mitlachen muss?
Der Kanzler tut so, als habe er mit all dem nichts zu tun
Der Heiterkeitsausbruch von Scholz spielt nicht in der Dimension des Lachers von Armin Laschet nach der verheerenden Flut in Nordrhein-Westfalen, der den CDU-Mann die Kanzlerschaft kostete. Politisch-perspektivisch bedeutet er vielleicht sogar das genaue Gegenteil: Dass Olaf Scholz guter Dinge ist, aus der Bundestagswahl im Herbst 2025 abermals als Regierungschef hervorzugehen.
Die Halbjahresbilanzen, die die Kolleginnen und Kollegen in den Hauptstadtredaktionen mit letzter Kraft vor der Sommerpause geschrieben haben, lesen sich nicht so. Bestenfalls als durchwachsen, oft auch als katastrophal wird die bisherige Leistung und der öffentliche Auftritt der von Scholz geleiteten Regierung eingestuft.
Bemerkenswert, wie sich da Scholz immer wieder geriert, als habe er mit den Vorgängen zwischen den Koalitionspartnern nichts zu tun. Und wie er die Wogen so lange kleinredet, bis man sich schon fast schämt, sie überhaupt gesehen zu haben. Gegen Scholz war selbst die stoische Angela Merkel eine Alarmistin. Ein möglicher Grund für die gute Laune des Olaf Scholz mag das Paradox sein, dass er nicht trotz, sondern gerade wegen der aktuell herrschenden politischen Verhältnisse zur Halbzeit seiner ersten Amtszeit gute Aussichten auf eine zweite hat.
Bemerkenswerterweise hat diese gute Aussicht ihren Ursprung in einer kühnen Behauptung des Kanzlers, die er mehr als Wogenglätter denn als politischer Augur bei der Sommerpressekonferenz hat fallen lassen: Dass sich die extrem guten Werte der AfD in den Umfragen bis zur Bundestagswahl wieder halbieren würden und die AfD damit ungefähr das Ergebnis erzielen werde, das sie auch bei der vergangenen Bundestagswahl erreicht hatte: knapp über zehn Prozent.
Mit Verlaub, Herr Bundeskanzler: Da dürften sie irren! So wie derzeit die Mähdrescher die goldgelben Felder überall im Land abernten, wird auch die AfD in den kommenden Monaten ihr politisches Silo weiter füllen. Die Zeit neuer und drastischer Verteilungskämpfe nach den Sonderausgaben in dreistelliger Milliardenhöhe für die Corona-Krise und den Krieg in der Ukraine steht bevor.
Der Streit um das Ehegattensplitting und das Elterngeld sind erst das Wetterleuchten eines großen Gewitters. Solche Zeiten bescheren einer skrupellosen Oppositionspartei wie der AfD traumhafte Wachstumsmöglichkeiten, selbst von diesem hohen Niveau aus gesehen. Es ist wie bei der Aktie des Experten für Künstliche Intelligenz, Nvidia: Man denkt, das kann doch nicht mehr so weitergehen. Und schon legt sie weiter zu.
Dazu kommt, dass der "gärige Haufen", als den Parteiveteran Alexander Gauland die Partei einmal bezeichnete, gar nicht mehr solche Sumpfblasen der inneren Fäulnis wirft. Sollte der Prozess im Innern anhalten, hat es die Führung jedenfalls vermocht, davon nichts mehr nach außen dringen zu lassen. Im Unterschied zur Ampel, die in der Hinsicht wegen des Ausstoßes solcher Faulgase schon fast als Klimaproblem eingestuft werden muss.